Freitag, 15. Februar 2013

Willkommen in der Bretagne

Ein Film, der funktionieren soll und den meisten Menschen, die ihn sehen, gefallen soll, hat es nicht einfach. Sehr viele Faktoren gilt es zu berücksichtigen, damit alles stimmt. Der Film sollte eine überzeugende und packende Story erzählen. Dafür eignet sich ein aktueller Bezug zur wirklichen Welt. Dadurch kann man sich als Zuschauer schneller mit den Figuren identifizieren. Je nach Thema ist also eine gewisse Ernsthaftigkeit angebracht. Zu ernst sollte es aber auch nicht werden. Nicht wenige Menschen gehen ins Kino, um sich unterhalten zu lassen. Ein paar auflockernde, oder witzige Passagen können dem Film also auch nicht schaden. Wenn das ganze obendrein noch von guten Schauspielern getragen wird und sich der Regisseur nicht scheut, mit ein paar Konventionen zu brechen, kommt ein nahezu perfekter Film dabei heraus, der innerhalb kürzester Zeit zum absolut Renner avanciert. „Ziemlich beste Freunde“ ist das perfekte Beispiel für einen solchen Film. „Willkommen in der Bretagne“ dagegen, hat so ziemlich alles falsch gemacht, was falsch gemacht werden kann.

Catherine arbeitet für den Staat und ist als Personalmanagerin in einem Krankenhaus in Paris angestellt. Eine kleine Klinik in der Provinz hat allerdings große finanzielle Probleme. Der dortige Personalchef wird entlassen und Catherine soll seinen Posten übernehmen. Sie ist bekannt dafür, Wunder zu vollbringen, und konsequente und nachhaltige Finanzpläne aufzustellen. Nun muss sie also in die Provinz und findet es hier recht traurig. Das Krankenhaus ist hoffnungslos verschuldet und Catherine steht eine trostlose Aufgabe bevor. Zufällig freundet sie sich mit ein paar Schwestern von der Entbindungsstation an, die sich nach der Arbeit immer zum Bowling treffen. Hier nun lernt Catherine die eigentliche Herzlichkeit und auch Eigenheit der Bretonen kennen. Zunächst noch etwas distanziert, taut Catherine schnell auf und fühlt sich schnell wohl. Doch dann kündigt der Leiter des Krankenhauses an, die Entbindungsstation zu schließen. Die neue Freundschaft wird auf eine harte Probe gestellt.

Der Originaltitel des Films lautete „Bowling“. Das war ganz okay. Man konnte sich zwar schon fast denken, worum es ging, aber ein bisschen neugierig hat der Titel schon gemacht. „Willkommen in der Bretagne“ dagegen lässt sofort in eine Richtung denken, die der Film am Ende gar nicht einschlägt. Soll der Titel suggerieren, dass die Bretonen ein total ungewöhnliches Völkchen sind? Die Sch'tis, zum Beispiel, sind auf ihre Art wirklich speziell und nicht ganz dicht. Die Bretonen hingegen sind total ausgeglichen und ganz und gar nicht verrückt. Sie sind ganz normale Leute, die ein ganz normales Leben führen, welches zu großen Teilen eben außerhalb Paris' statt findet. Der Film dichtet den Bretonen also Eigenschaften an, die sie in Wirklichkeit gar nicht haben – und die auch im Film kaum noch zum Tragen kommen. Das fiese ist, dass der Zuschauer sofort in diese versnobte Perspektive gedrückt wird, die wahrscheinlich der Schickeria und der Yuppie-Bagage aus den Pariser Edelvierteln entspringt. Alles, was außerhalb der Hauptstadt liegt, ist dörflich - gradezu bäuerlich.
So ärgere ich mich also schon über den Film, noch bevor der Vorspann abgelaufen ist.
Dann macht Catherine relativ früh eine Bemerkung über das Wetter, und darüber, wie trostlos es in der Bretagne sei. Dem unbedarften Zuschauer fällt auf: Hier ist es wunderschön. Eine tolle Landschaft und ein hübsches kleines Städtchen mit hübschen kleinen Häuschen. Herrlich! Die verwöhnte Pariszicke findet's eben schrecklich und trostlos. Wir Bauern!
Der Rest der Geschichte ist relativ vorhersehbar, aber okay. Keine Überraschungen, aber wenigstens schlüssig und relativ rund. Das einzige, was etwas verunglückt ist, ist die Sache mit dem Bowling. Das Bowlingmotiv steht irgendwie neben der Story und der Bezug wirkt krampfig. Ein Jammer, denn das Bowling ist schön geworden und kann als einziger Part im Film Emotionen transportieren.
Der aktuelle Bezug wird von der Finanzkrise besorgt. Die Finanzpläne Catherines werden mit einem Aufstand quittiert, der so künstlich und von Pappe wirkt, als sei er direkt aus „Westside Story“ geklaut. Das setzt dem Ganzen die Krone auf.

Lahm, uninspiriert, krampfhaft! So kann man „Willkommen in der Bretagne“ am besten beschreiben. Der Film will zu viel sein, was er nicht sein kann. Stattdessen hätte man sich auf die eigenen Elemente konzentrieren sollen. Warum Gesellschaftskritik und schrullige Provinzler rein packen, wenn es doch eigentlich um Bowling geht? Warum hat man sich entschieden, ein lahmes und charakterloses Filmchen zu machen, anstatt einen frischen und knalligen Kracher? Warum hat man es nicht genau so gemacht, wie bei „Ziemlich beste Freunde“?

Bowling (F, 2012): R.: Marie-Castille Mention-Schaar; D.: Catherine Frot, Mathilde Seigner, Firmine Richard, u.a.; M.: Erwann Kermorvant; Offizielle Homepage

In Weimar: lichthaus

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Dienstag, 12. Februar 2013

Flight

Robert Zemeckis gehört zur viel gerühmten Spielberg-Connection. Das ist eine Gruppe von Filmemachern, die vor allem in den 80er Jahren ein ganz bestimmtes Konzept des Geschichtenerzählens auf die Kinoleinwand transportieren konnten. Dieser Stil wird seitdem immer mit dem typischen Hollywood-Film assoziiert. Neben Spielberg zählte man George Lucas, Joe Johnston und Francis Ford Coppola zur Connection. Zemeckis knallte dem Publikum stets schrille und kreischend bunte Filme vor den Latz. „Zurück in die Zukunft“ etablierte 1985 eine der kultigsten Filmreihen der 80er und in „Falsches Spiel mit Roger Rabbit“ gelang Zemeckis ein technischer Meilenstein. „Forrest Gump“ revolutionierte 1994 das Storytelling moderner Hollywood-Produktionen und – auch wenn dieser Schritt durchaus kontrovers diskutiert wurde – Zemeckis' Verfahren von Motion-Capturing und CGI-Animationen war richtungsweisend für die digitale Filmtechnik. Warum nur, kann sich kein Mensch den Namen Zemeckis merken? Nun ist er wieder da – mit einem Realfilm; und Denzel Washingtion.

Whip Whitaker ist Pilot. Mehr, als das! Er ist der beste Pilot, den die zivile Luftfahrt derzeit kennt. Er hat mehr Flugstunden im Hintern, als die meisten seiner Kollegen und seine Erfahrung hilft ihm in jeder nur möglichen Situation. So auch an diesem Morgen. Bei einem Inlandsflug nach Atlanta gilt es, ein heftiges Unwetter zu durchfliegen. Die Anzeigen im Cockpit raten zum Kurswechsel, doch Whip erkennt in der Wolkenformation vor ihm eine Lücke und weiß, dass hinter dieser Lücke der freie Himmel wartet. Entgegen einiger Vorschriften und sämtlicher Daten, behält er recht. Nach ein paar Minuten ungemütlichen Gewackels, liegt der Flieger ruhig in der Luft und alles ist gut.
Währenddessen lernen wir Nicole kennen. Sie hat ein ernstes Drogenproblem und ist bereit, für ein paar Gramm Heroin, beinahe alles zu tun. Ihr Dealer arbeitet ausgerechnet als Produzent an einem Porno-Set.
Wieder im Flugzeug bricht plötzlich das Chaos aus. Es ertönt ein Knall und die Maschine schmiert ab. Dank seiner Fähigkeiten gelingt es Whip tatsächlich, die beschädigte Maschine zu landen und die meisten Passagiere zu retten. Alle sind sich einig, dass alle Fluggäste und noch viel mehr Menschen eines grausamen Todes gestorben wären, hätte ein anderer Pilot am Steuer gesessen. Die Nachuntersuchung ergibt jedoch beunruhigende Fakten. Offensichtlich war Whip während des Fluges betrunken. Eine Anhörung wird einberufen.

Es ist schon ein bisschen gemein, bei diesem Film, den Regisseur als Aufhänger zu nutzen. Aber Denzel Washington kennt jeder und er ist in diesem Film erwartungsgemäß gut und so überzeugend, wie man es aus vielen seiner bisherigen Auftritte gewohnt ist. Seine Leistung ist indiskutabel und bedarf keiner weiteren Worte.
Robert Zemeckis nun hat sich entschieden, seine fragwürdigen Projekte noch einmal zu verschieben. Eigentlich wollte er nur noch Animationsfilme produzieren – ganz im Stile von „Der Polarexpress“ oder „Die Legende von Beowulf“. „Flight“ erzählt eine Geschichte, die auf mehreren wahren Begebenheiten beruht. Es hat wirklich einen Piloten gegeben, der in einer ähnlichen Situation ein ähnlich waghalsiges Manöver vollführt hat, wie es im Film zu sehen ist. In Wirklichkeit ist das Manöver leider nicht geglückt. Ebenso gab es einen Piloten, der auf halber Strecke von Athen nach Paris feststellte, dass der Sprit nicht reicht und er hat es tatsächlich geschafft, mehrere hundert Kilometer zu segeln und trotz Bruchlandung alle Passagiere zu retten. Diesem Piloten erging es im Übrigen ähnlich, wie Whip. Durch sein Handeln hat er das Flugzeug nämlich erst in diese gefährliche Situation gebracht.
„Flight“ ist ein Suchtdrama im klassischen Sinne. So, wie die Hauptfigur, leidet man als Zuschauer mit. Es gibt die typischen Aufschwünge und niederschmetternde Abfahrten. Der Held fällt von ganz oben nach ganz unten und nur hier findet er die Kraft, wieder aufzustehen. Ganz klassisch eben. Den Hingucker des Films findet man im Rahmen der Geschichte – genauer gesagt am Anfang des Films. Robert Zemeckis hat schon in „Cast Away“ bewiesen, dass er ein Händchen für beängstigende aber realistische Flugzeugabstürze und deren filmischer Darstellung hat. In „Cast Away“, zum Beispiel, saß man mit im Flugzeug. Und obwohl nichts umherflog und niemand raus gesaugt wurde und niemand in kopflose Panik verfiel – obwohl Zemeckis also auf die üblichen Motive einer solchen Szene verzichtete – war diese Sequenz eine der eindrucksvollsten Momente, die ich je in einem Film gesehen habe. In „Flight“ übertrumpft Zemeckis sich selbst und liefert eine noch beängstigendere Absturzszene. Das Problem an diesem Motiv ist, dass es bisher wenig Überlebende einer echten Flugzeugkatastrophe gibt. All die Angst und der Horror, den wir uns nur vorstellen können, steckt nun in dieser Szene und hat sich mir auf ewig ins Gedächtnis eingebrannt. Sie ist dermaßen wirkungsvoll, dass ich im Moment nicht weiß, ob ich – als jemand, der unter einer gewissen Flugangst leidet – jemals wieder halbwegs ruhigen Gewissens – oder nüchtern – in einen Flieger steigen kann. Vielen Dank, Mr. Zemeckis!
„Flight“ entspricht genau dem, was man unter einem typischen Hollywood-Film versteht. Erstaunlich, dass Zemeckis diese Eigenschaft nach so vielen Jahren immer noch aufrecht erhalten kann. Außerdem erzählt der Film die Geschichte über einen Menschen, der trotz immenser Fähigkeiten so verletzlich ist, wie es ein Mensch nur sein kann. Das mag nichts Neues sein – schon gar nicht im Kino – aber es ist eindrucksvoll dargestellt und wird von einer der spektakulärsten Flugzeugszenen aller Zeiten gekrönt. Oscarverdächtig? Eher weniger. Die Konkurrenz in den nominierten Kategorien ist zu stark. Sehenswert? Wenn man nicht vor hat, in nächster Zeit zu verreisen, sollte man diesen Film keinesfalls verpassen.

Flight (USA, 2012): R.: Robert Zemeckis; D.: Denzel Washington, Kelly Reilly, John Goodman, u.a.; M.: Alan Silvestri; Offizielle Homepage

In Weimar: CineStar

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Silver Linings


David O. Russell hatte mit seinem letzten Film „The Fighter“ einen erstaunlichen Erfolg gemeistert. Für das Drehbuch von Scott Silver gab es einen Oscar, für die Regie jedoch nicht. Die beiden Nebendarsteller Christian Bale und Amy Adams heimsten die Trophäen ein, sein von Russell extra gecoachter und an seine Grenzen gehender Hauptdarsteller, Mark Wahlberg, ging jedoch leer aus. „The Fighter“ war ein Paradebeispiel für Fehleinschätzungen des Potentials im eigenen Film. Die Dinge, die den Film so besonders gemacht haben, spielten während der Produktion für Russell eine eher untergeordnete Rolle.
Im neuesten Werk „Silver Linings“ scheint das gleiche wieder zu passieren. Diesmal jedoch mit Absicht.

Pat  sitzt in der Nervenheilanstalt. Nicht etwa, dass er freiwillig hier wäre, oder ernsthaft krank. Er ist allerdings extrem traumatisiert. Er führte eine Bilderbuchehe mit einer wunderschönen Frau. Eines Tages kommt er nach Hause und erwischt sie mit einem seiner Kollegen unter der Dusche. Im Hintergrund läuft übrigens der Song, den die beiden auf ihrer Hochzeit haben spielen lassen. So eiskalt und böse das zunächst erscheint, so verständlich scheint seine Reaktion zu sein. Er prügelt den Nebenbuhler grün und blau. Die Frau fühlt sich extrem bedroht und lässt ihren wütenden Ehemann einliefern. Nach einigen Monaten kommt Pat endlich raus und wird von seinen Eltern zu Hause aufgenommen. Der Vater ist ein pathologischer Spieler und hat schon sehr viel Geld und Ehre bei Wetten auf Baseballspiele verloren. Er hält seinen Sohn für einen Glücksbringer, denn immer wenn der sich im Raum befindet, scheint sich das Glück für den Vater zu wenden.
Pat hat jedoch ein ganz anderes Ziel. Er will seine Frau zurück. Da lernt er Tiffany kennen, die auf ihre Weise einen ganz ähnlichen Dachschaden hat. Sie fragt Pat, ob er ihr bei einem Tanzwettbewerb beistehen kann, wenn sie ihm dafür hilft, mit seiner Frau wieder zusammen zu kommen.

Die Story ist schnell durchschaut und entpuppt sich als eine gewöhnliche Liebesgeschichte, nach ganz klassischem Muster. Die wenigen markanten Charaktereigenschaften der Protagonisten halten die Originalität nur mit größter Mühe auf einem erträglichen Level. Viel zu oft rutscht der Plot ins Banale ab und der Zuschauer wird nur von großen Aktionen der Figuren vor dem Desinteresse bewahrt. Pat zertrümmert eine Stereoanlage. Pat prügelt sich mit Hooligans. Pat wirft einen ausgelesenen Hemmingway durch die Fensterscheibe, weil er das Ende kacke findet. So etwas eben. Das Besondere in diesem Film ist die Leistung aller Darsteller. Bradley Cooper ist nach ausschweifenden Eskapaden in Hangover eigentlich schon abgestempelt gewesen als Slapstick-Trottel vom Dienst. Jennifer Lawrence hat zwar eine beeindruckende Leistung in „Winter's Bone“ absolviert, hat seitdem aber vor allem in mäßig erfolgreichen Blockbusterkrücken mitgespielt. So etwas schabt am Image einer ernstzunehmenden Schauspielerin. Zu guter Letzt: Robert De Niro hat seine große Zeit hinter sich. Seine Auftritte wurden zunehmend nur noch auf seine bloße Anwesenheit reduziert. Seine Rolle als Simon Silver in „Red Lights“ zum Beispiel barg so viel Potential und er hat es starren Blickes einfach verpuffen lassen.
Alle drei Schauspieler zeigen in „Silver Linings“, dass sie es noch immer drauf haben. Mag die Geschichte voll an Klischees und Plattitüden sein – ja regelrecht amerikanisch – die Schauspieler schaffen es, dem Film eine besondere Note zu geben. Der Film lebt davon und spielt die markanten Eigenschaften der Menschen hinter der Rolle gekonnt aus. Konsequenterweise wurden alle drei mit Nominierungen für die kommende Oscar-Verleihung belohnt. Die Academy scheint über die eklatanten Schwächen des Drehbuchs hinweg sehen zu können und die Stärke der Produktion zu sehen. Nun steht natürlich die Frage im Raum, ob ein Film, der allein von der Vitalität und vom Charisma der Schauspieler lebt, überzeugen kann. Er kann es nicht. Wie man schon oft gehört hat, kann selbst der beste Regisseur große Schwächen eines Skripts nicht ausbügeln. Tragischerweise handelt es sich in „Silver Linigns“ bei Regisseur und Drehbuchautor um die selbe Person.

„Silver Linings“ ist oberflächlich und erzählt eine aufgewärmte Geschichte mit nicht eben originellen Einfällen zum tausendsten Mal neu. Beeindruckend sind dagegen um so mehr die drei Hauptdarsteller, die mit einer immensen Ausdauer und Stärke gegen die Defizite des Films anstürmen und sich dadurch zu etwas wirklich Besonderen machen. Und da ist sie wieder einmal: Die Magie Hollywoods, die dafür sorgt, dass ich sage: Allein diese drei Schauspieler rechtfertigen schon den Kinobesuch.

Silver Linings (USA, 2012): R.: David O. Russell; D.: Bradley Cooper, Jennifer Lawrence, Robert De Niro, u.a.; M.: Danny Elfman; Offizielle Homepage

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