Donnerstag, 29. März 2012

Schilf

Es ist ein überaus faszinierendes, wie auch beängstigendes Thema. Paralleluniversen können wohl in der Theorie existieren, sind aber in der Praxis nicht nachweisbar. Dadurch werden sie zum perfekten Motiv für utopische Science Fiction Filme oder Fantasyepen. Wirklich ernsthaft hat sich bisher kein Film mit dem Thema auseinander gesetzt, es stattdessen lediglich als Aufhänger genutzt, um dann doch einen Standartgenrefilm zu produzieren. Vielleicht neigt man deshalb dazu, Wissenschaftler zu belächeln, die sich ernsthaft und geflissentlich mit parallel existierenden Welten beschäftigen. Seit einigen Tagen läuft der Film „Schilf“ in Weimar und ich habe mich in die Parallelwelten ziehen lassen und bin einigermaßen verwirrt wieder in unsere Wirklichkeit zurück gekehrt.

Sebastian Wittich ist Physiker und hat eine Professur an der Uni Jena. Sein Fachbereich sind parallel existierende Wirklichkeiten. In seinen Vorlesungen berichtet er, dass jede Entscheidung und jede Möglichkeit zu einer parallelen Wirklichkeit führen kann. Ganz laienhaft gesprochen: In der einen Wirklichkeit gehe ich an der Gabelung nach links und in der anderen Wirklichkeit nach rechts. Uns selbst ist aber immer nur unsere eigene Wirklichkeit bewusst, weshalb es ja auch so schwer ist, die Existenz von anderen Wirklichkeiten zu beweisen. Sebastians bester Freund Oskar ist der Meinung, es sei nicht schwer, sondern unmöglich zu beweisen, und dadurch nichts weiter als Luftschlösser, denen Sebastian nicht länger hinterher jagen sollte. Der lässt sich nicht von seiner Theorie abbringen und stürzt sich in die Arbeit. Dann geschieht allerdings etwas unvorhersehbares. Sebastians Sohn wird entführt und eine mysteriöse Frau meldet sich bei ihm. Sebastian kann nicht glauben, was er hört, aber offensichtlich soll er jemanden aus dem Weg räumen, um seinen Sohn unversehrt wieder zu bekommen...

Trotz des komplexen Themas ist „Schilf“ in einem ganz schlichten Stil gehalten. Das ist einfach nur konsequent, denn so, wie der Protagonist betrachtet man nun alles von der rein wissenschaftlichen Seite. Ohne übernatürlichen Quatsch, wie leuchtende Brücken oder Spiegelbilder von Menschen, die eigentlich nicht da sind. Trotz oder wegen der rein wissenschaftlichen Herangehensweise, ist man sehr gefesselt. Man sagt sich die ganze Zeit: „Das kann einfach nicht sein.“ Und im Laufe des Films merkt man, es ist auch nicht so, sondern viel schlimmer. Zur Sache: Der Film spielt gekonnt mit der Wahrnehmung und den Erwartungen des Zuschauers. Erst denkt man, der Film sei super komplex und man achtet auf jedes noch so kleine Detail, um ja nichts zu verpassen. Kaum hat man das Muster des Films durchschaut und glaubt zu wissen, was gespielt wird, kommt ein völlig überraschender Umschwung. Der sorgt allerdings nicht für Verwirrung oder Frust, sondern zeigt nur ein neues Muster auf und man sagt sich: „Ach so. Ja, dann ergibt das natürlich alles Sinn.“ Pustekuchen, denn auch das ist nur eine weitere Spielart mit dem Zuschauer und am Ende blickt man gar nicht mehr durch.
Technisch bietet der Film alles, was man von einem soliden Erstling erwarten kann. Man zeigt, was man alles tolles mit der Kamera machen kann; hektische Schnitte, weiche Blenden, verschobene Perspektiven, Spiel mit Licht- und Unschärfeeffekten, und so weiter. Dadurch bekommt der Film manchmal einen leicht naiven Touch. Dem Zuschauer wird alles mit dem Presslufthammer eingebläut. Aber Achtung! Auch nur ein gekonnt eingesetztes Stilmittel, nur um den Zuschauer zu ärgern.
Ich gebe zu, dass ich mich ganz schön aufgeregt habe, als ich das Kino verließ, aber trotzdem habe ich den Film genossen. „Schilf“ ist unglaublich spannend, hat einen ganz besonderen ästhetischen Stil und bietet sehr gute und überzeugende Schauspieler. Allein Stipe Erceq ist so herrlich zwielichtig und man denkt die ganze Zeit, mit dem ist irgendwas ganz böse nicht in Ordnung.

„Schilf“ macht Spaß. Die Verwirrung über das Ende weicht einer ganz einfachen Erkenntnis. Es gibt unglaublich viele Möglichkeiten und der Film zeigt eben nur eine davon, vergisst allerdings nicht, ständig durch Einsprengsel daran zu erinnern, dass es eben auch noch zahllose andere gibt. Und diese Erkenntnis kommt Hand in Hand mit einem wohligen Schauer, der über den Rücken läuft. So, als würde jemand aus einer parallelen Wirklichkeit darüber streichen.

Schilf (D, 2012): R.: Claudia Lehmann; D.: Mark Waschke, Stipe Erceq, Bernadette Heerwagen, u.a.; M.: Thomas Kürstner & Sebastian Vogel; Offizielle Homepage

In Weimar: lichthaus

Der Filmblog zum Hören: Jeden Donnerstag, 12:00 bis 13:00 Uhr auf Radio Lotte Weimar.

Freitag, 23. März 2012

Best Exotic Marigold Hotel

Zur Zeit laufen in den Kinos der Welt gleich zwei Filme, die sich beinahe mit der selben Thematik auseinandersetzen und dabei recht unterschiedliche Resultate abliefern. Es geht um das Älterwerden und die Frage nach der Zukunft, so kurz sie auch sein mag. Lohnt es sich, für Morgen zu träumen, oder sollte man nicht mal mehr grüne Bananen kaufen? Ein Film kommt aus Frankreich und einer aus England. In beiden Filmen geht es um Senioren, die gemeinsam einen gewichtigen Schritt unternehmen, der ihr Leben auf die alten Tage nochmal ordentlich durcheinander würfelt. In „Und wenn wir alle zusammen ziehen“ gründet eine Gruppe von Pensionären eine eigene WG und in „Best Exotic Marigold Hotel“ fliehen sie gleich nach Indien. Einen von beiden habe ich mir angesehen.

Evelyn passiert es, während sie mit einer Servicekraft bei der Telefongesellschaft spricht. Graham passiert es, als er eine Abschiedsrede für einen langjährigen Kollegen vorbereitet und feststellt, dass er selbst dieser langjährige Kollege ist. Douglas merkt es, als der Makler in der künftigen Wohnung die Vorzüge eines Handlaufs an der Wand und eines Panikknopfes preist und Norman merkt es wiederum beim Speeddating, da ihm keiner glauben will, er wäre wirklich erst Anfang 40. Was merken all diese Menschen? Sie merken, dass sie alt geworden sind und dass sich die Welt um sie herum immer schneller zu drehen scheint und dass man irgendwann keine Veränderungen mehr will oder ertragen kann. Vor allem aber merken sie, dass sie weg müssen. Weg von ihrem Leben und rein in etwas Aufregendes vielleicht. Ein neues Leben? Dafür ist es wohl etwas spät, aber noch ein bisschen was erleben, oder vielleicht auch etwas nach holen oder erledigen, bevor der Hammer fällt; das wäre schön.
All diese Menschen erfahren mehr oder weniger zufällig von einer tollen neuen Seniorenresidenz in Indien. Das „Best Exotic Marigold Hotel“ ist ein Palast aus der alten Zeit und wartet mit prachtvollen Zimmer und einem magisch, exotischem Ambiente auf. Genau das richtige, um hier einen ruhigen und gleichzeitig mehr als würdigen Lebensabend zu verbringen. Tja. Aber dann wird es doch anders, als erwartet.

Dieser Film lebt von zwei Dingen: Das Aufeinandertreffen zweier unterschiedlicher Kulturen und deren Weltanschauung und das Aufeinandertreffen zahlreicher Schauspiellegenden. Großbritannien und Indien verbindet eine gemeinsame Geschichte, die auch viele negative Aspekte mit sich gebracht hat. Es ist ein spannender Gedanke, die alteingesessenen Briten in die bunte und irgendwie unwirklich anmutende indischen Straßen zu werfen und zu sehen, wie sie zurecht kommen. Bill Nighy, Judi Dench, Maggie Smith und Tom Wilkinson vermitteln überzeugend den Eindruck, aufgeschlossene und weltoffene Menschen zu sein. Sie sind in dieser neuen Welt natürlich bestens aufgehoben und trotz einiger Schwierigkeiten machen sie stets das Beste aus der Situation. Natürlich ist das „Best Exotic Marigold Hotel“ eine einzige Bruchbude und der Prunk und die Pracht gehören eindeutig der Vergangenheit an. Klar, dass hier einige skurrile und lustige Situationen für einige Lacher sorgen. Diese kleinen Gags wirken allerdings nicht aufgesetzt oder krampfig, was man leider von der Liebesgeschichte zwischen dem liebenswürdigen, aber sehr chaotischem Hotelmanager Sonny und seiner Freundin Sunaina nicht sagen kann. Diese beiden klären ihre Beziehungsprobleme sehr statisch und es wirkt seltsam, dass sie sich in sehr gebrochenem Englisch unterhalten und nicht in ihrer Muttersprache. Die Dialoge zwischen den beiden sind auch inhaltlich eher platt. Es ist unglücklich dargestellt und passt nicht zu den restlichen Motiven des Films.

„Best Exotic Marigold Hotel“ hinterlässt einen soliden Eindruck. Es gibt viele schöne Momente und gute Dialoge und die lassen einen schon über die kleineren Ecken und Kanten hinweg sehen. Es ist jedenfalls keine platte Komödie, die sich nur auf den Gags ausruht, die man im Trailer zu sehen bekommt. Mal sehen, wie das französische Pendant abschneidet. Dessen Besprechung folgt in den nächsten Wochen.

The Best Exotic Marigold Hotel (GB, I, 2012): R.: John Madden; D.: Judi Dench, Bill Nighy, Dev Patel, u.a.; M.: Thomas Newman; Offizielle Homepage

In Weimar: lichthaus

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Barbara

Ein Name geistert seit einigen Wochen durch die deutsche Filmlandschaft. Ein Name, der zunächst nur geflüstert wurde und nach der Berlinale laut gefeiert wurde. Ein Name, der erst durch die anderen Namen Christian Petzold und Nina Hoss seine Daseinsberechtigung erhält. Es ist der Name einer Frau und auch der Name einer Geschichte. Es ist außerdem der Name einer ganzen Generation und der Name eines Landes, welches es nur noch in unseren Köpfen zu geben scheint. Der Name lautet „Barbara“

Nachdem sie einen Ausreiseantrag in die BRD gestellt hatte, wurde Barbara Wolf in die Provinz nach Mecklenburg versetzt. Vorher hatte sie eine hochdekorierte Stelle in Berlin an der Charité und nun schiebt sie Schichten in der Kinderchirurgie in irgendeinem Kaff.
Fernab der Zivilisation und immer im Visier der Stasi. Das System verfolgt jeden ihrer Schritte und sie entwickelt eine Art Paranoia gegen beinahe all ihre Mitmenschen. Nur ihr Freund, der sie in den Westen holen möchte und die Ausreißerin Stella, scheinen die sehr reservierte Barbara auftauen zu können.
Ihr Chefarzt Andre hat das auch bemerkt, will jedoch versuchen, einen Draht zu Barbara aufzubauen. Er fühlt sich zu ihr hingezogen. Barbara sieht in ihm jedoch nur ein weiteres Kontrollinstrument der Stasi und blockt alle Annäherungsversuche ab.

Barbara soll stellvertretend für alle Menschen stehen, die in der ehemaligen DDR, oder jedem anderem Land mit einer ähnlichen Geschichte, die unter den Repressalien des Systems gelitten haben. Anders, als andere Filme, die diese Thematik behandelten, vermittelt dieser Film nicht den Eindruck, es ginge uneingeschränkt allen Menschen schlecht in diesem Land. Ein Teil der gezeigten Figuren scheint ein gutes Leben zu führen und ist glücklich. Der Fokus liegt dennoch auf den Menschen, die weniger glücklich sind. Barbara ist eine zutiefst verunsicherte Frau, die sich allerdings abschottet, und ihre Unsicherheit durch emotionale Kälte zu verbergen versucht. Ganze zwei Mal beobachtet man im Film, wie diese Kälte bröckelt und es aus ihr heraus bricht. Die Vielschichtigkeit dieser Figur leidet aber nicht unter diesem reduzierten Ausmaß an Gefühlsregungen. Barbara ist faszinierend und geheimnisvoll. Das muss sie auch sein, denn der Grund für ihre Verschwiegenheit sind ihre Fluchtpläne, über die sie natürlich mit niemanden reden kann. Hier kommt auch die familiäre Atmosphäre eines kleinen abgeschiedenen Dorfes zum tragen, in dem jeder jeden kennt. Als, wenn man nicht ohnehin die ganze Zeit daran denkt, wird man durch überraschende Besuche zwielichtiger Stasibeamter daran erinnert. Das sind die einzigen Szenen, die mich etwas stören. Gelingt es dem Film ansonsten ein sehr nüchternes aber auch frisches Bild auf das Leben in der DDR mit all seinen Ecken und Kanten zu werfen, kommen mir diese Stasijungs doch zu Klischeehaft daher. Schlecht sitzende Klamotten, hässliche Frisuren und Bärte und so richtig blöde Schweine. Kontrolle durch Angst. Das funktioniert zwar, passt aber irgendwie nicht zu der restlichen Darstellung im Film.

„Barbara“ erzählt eine spannende Geschichte über eine ganz normale Frau, die in einem nicht normalen Land lebt. Dieses Land könnte überall auf der Welt sein. Die Details der Geschichte und Kulisse sind vollständig austauschbar. Es ist kein weiterer Historienfilm, der mit dem Finger wedelt. Es ist ein Film, der dich ansieht und dich dann völlig wertfrei fragt: „Was würdest du tun?“

Barbara (D, 2012): R.: Christian Petzold; D.: Nina Hoss, Ronald Zehrfeld, Rainer Bock, u.a.; M.: Stedan Will; Offizielle Homepage

In Weimar: mon ami, CineStar

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Dienstag, 13. März 2012

Die Eiserne Lady

Meryl Streep ist eine unglaublich vielseitige Schauspielerin. Sie durchlief in ihrer Karriere sehr viele Rollen und versteht es, ausgefeilte Charaktere zu spielen und vermischt dabei stets gekonnt und stimmig ihre eigenen Charaktereigenschaften mit denen, der darzustellenden Figur.
Sie wurde insgesamt 17 mal für den Oscar nominiert in den Kategorien der besten Nebendarsteller und der besten Hauptdarsteller. Sie wurde für ihre Rolle in „Sophies Entscheidung“, 1983 mit dem Goldjungen honoriert, seitdem ging sie stets leer aus, mal unverständlicherweise, und mal durchaus berechtigt. Nach 29 Jahren wurde sie nun erneut mit dem Oscar ausgezeichnet. Als „Eiserne Lady“ kann man Meryl Streep derzeit in den deutschen Kinos sehen. Ist die Auszeichnung gerechtfertigt? Kann der Film abgesehen davon noch etwas bieten?

Er kann! Es geht schließlich um die erste britische Premierministerin aller Zeiten; um Margaret Thatcher. Der Film steigt in der Gegenwart ein und man sieht, wie die frühere Politikerin heute lebt. Sie ist alt und zunehmend dement. So bildet sie sich ein, ihr Mann Dennis sei bei ihr, der ist jedoch schon seit vielen Jahren tot. Ein Teil von ihr weiß das auch, aber ein anderer Teil von ihr lässt sie stets in der Vergangenheit leben. Eines Tages entschließt sie sich, die alten Sachen ihres Mannes endlich aus zu sortieren. An diesem Tag vermischen sich beide Ebenen ihres Verstandes und in regelrechten Flashbacks sehen wir Thatchers Erinnerungen an ihr früheres Leben.
Und auf diese Weise begleitet der Zuschauer die junge Margaret, wie sie im Laden ihres Vaters arbeitet, als Krämerstochter bezeichnet wird und von ihren Altersgenossen belächelt wird. Als sie beschließt, in die Politik zu gehen, erntet sie dafür wenig Begeisterung ihrer Mutter. Doch ihr Entschluss steht fest und sie kandidiert als Abgeordnete für die Konservativen. Nach mehreren Anläufen schafft sie es und sie bekommt als einzige Frau einen Ministerposten in der Regierung. Hier macht sie sich nicht nur Freunde und wird häufig schlicht nicht ernst genommen, weil sie eine Frau ist.
Einige Parteifreunde sehen in der ehrgeizigen Frau aber die Chance, die Konservativen zur Regierungspartei werden zu lassen.
Sie überreden Thatcher, als Premierministerin zu kandidieren und geben ihr außerdem Sprechunterricht, um ihrer Stimme mehr Autorität zu verleihen. Dank ihres unerschütterlichen Willens und einer starken und wirkungsvollen Kampagne schafft sie es 1975 tatsächlich und wird zur Parteivorsitzenden der Konservativen und Regierungschefin.

Unabhängig davon, was man von dieser historischen Figur hält, ist man von ihrer Ausstrahlung beeindruckt. Margaret Thatcher hat keine Scheu, sich unbeliebt zu machen, wenn es nicht anders geht, ihre Ziele zu erreichen. Auf diese Weise durchläuft sie ständige Hochs und Tiefs und wird abwechselnd gehasst und geliebt. Die Streitbarkeit ihrer Person und einiger ihrer politischen Entscheidungen steht außer Frage und bleibt während des größten Teils des Filmes erhalten. Der Film versucht indes, all diese denkwürdigen Momente ihrer Karriere darzustellen, ohne sie zu werten. Als starker Kontrast zu der strahlenden Politikerin sieht man regelmäßig eine alte und verbrauchte Thatcher der Gegenwart, die mit ihrem Spitznamen nichts mehr zu tun hat. Diese Szenen stoßen übrigens sowohl Thatchergegnern, wie auch ihren Fürsprechern sauer auf. Für die einen ist die Darstellung verharmlosend, für die anderen schlicht falsch. Was Thatcher selbst von dem Film hält, weiß man nicht. Sie hätte ihn noch nicht gesehen.
Der Film legt manchmal ein sehr waghalsiges Tempo zu und überspringt viele Jahre mit einigen wenigen Schnitten. Dadurch bekommt man manchmal einen falschen Eindruck von historischen Abläufen. Außerdem hat man das Gefühl, dass die englischen Bürger sofort in den Rage-Modus verfallen, wenn ihnen auch nur die kleinste Kleinigkeit nicht passt und dass sie sofort alles kurz und klein schlagen.
Andererseits werden andere Aspekte nach meinem Geschmack etwas zu ausführlich thematisiert. Ihr heutiges Leben interessiert mich ehrlich gesagt weniger. Stattdessen hätte ich gerne mehr über ihre persönlichen Motive und Gedanken als aktive Politikerin erfahren.
Ohne Frage kann man aber sagen, dass Meryl Streep die Auszeichnung als beste Hauptdarstellerin mehr als verdient hat. Die Ähnlichkeit zu Thatcher entsteht nicht nur durch das beeindruckende Make-Up. Streep legt enorm viel Feingefühl in ihre Darstellung und fesselt vor allem als alte Version von Thatcher. An dieser Stelle sei auch die deutsche Synchronsprecherin Dagmar Dempe gelobt. Wer auch immer in die langweilig werdende Diskussion über Defizite von synchronisierten Filmen einstimmt, dem muss eine ausgeprägte Unbedarftheit zum Thema bescheinigen. Gerade in Deutschland wird die Synchronisierung von Filmen so aufwändig betrieben, wie in keinem anderen Land der Welt. Nirgendwo sonst werden Sprecher dermaßen gefordert, wie hier und das merkt man ganz speziell auch bei der „Eisernen Lady“.



Der Film hat einen soliden Eindruck hinterlassen. Es kommt ganz darauf an, wie viel man im Vorfeld über Thatcher weiß und vor allem, welche Meinung man sich über sie gebildet hat. Der Film versucht im wesentlichen, neutral zu bleiben. Hin und wieder kommt allerdings ein leicht pathetischer Unterton dazu, der nicht ganz die Bewunderung seitens der Regisseurin Phyllida Lloyd für diese Frau verbergen kann.
Sehenswert ist dieser Film aber allemal, schon allein um eine wirklich absolut perfekte Streep zu sehen; eine Leistung, von der man noch lange sprechen wird, und die lange auf etwas Vergleichbares warten wird.

The Iron Lady (UK, USA, 2001): R.: Phyllida Lloyd; D.: Meryl Streep, Jim Broadbent, Susan Brown, u.a.; M.: Thomas Newman; Offizielle Homepage

In Weimar: lichthaus

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Mittwoch, 7. März 2012

Glück

Sie gilt als eine der erfolgreichsten Filmschaffenden Deutschlands. Gleichzeitig ist sie eine gefragte Autorin, deren Bücher sich stets mit der Gegenwartsstudie einer Gesellschaft beschäftigen, die sich gerne anders darstellt, als es der Wahrheit entspricht. In erfrischend bissigem Ton hält uns Doris Dörrie erbarmungslos den Spiegel vor. Diesen bissigen Ton sucht man allerdings in ihren Filmen vergeblich. Oft verschenkten Filme, wie „Nackt“ oder jüngst „Die Friseuse“ zu viel Potential und die durchaus guten Ansätze und Ideen versanken in der Bedeutungslosigkeit. Einmal gelang ihr ein Meisterwerk. „Kirschblüten – Hanami“ erzählte eine tragisch-schöne Geschichte, strotzte nur so vor kraftvollen Bildern und wurde obendrein noch von unglaublich starken Darstellern getragen. Ein rundum gelungener Film. Ob es Dörrie mit ihrer neuesten Arbeit „Glück“ schafft, diese Leistung zu wiederholen? Der Titel und die Story klingen vielversprechend.

Irina lebt in Berlin. Sie ist illegal hier, da sie ihre Heimat verlassen musste, nachdem dort der Krieg ausgebrochen ist und ihre gesamte Familie getötet wurde. Als illegale Einwanderin hat sie nicht viele Möglichkeiten, Geld zu verdienen. Deshalb arbeitet sie als Prostituierte. Kalle ist ein Straßenpunk, der niemanden was tut, außer sich selbst. Er hat sich in dieses Leben hinein gleiten lassen und zeigt keinerlei Ambitionen, die darüber hinaus gingen, sich Kleingeld für ein Bier zusammen zu schnorren oder einen Platz zum Schlafen zu finden.
Eines Tages treffen die beiden aufeinander und scheinen sich gut zu verstehen. Gemeinsam erkennen sie, dass sie nur noch den jeweils anderen haben und beschließen, zusammen zu ziehen. Irina mietet eine kleine Wohnung, in der sie weiter ihre Dienste als Prostituierte anbietet. Kalle sucht sich einen Job als Zeitungsausträger. Sie schaffen es tatsächlich, sich eine kleine Portion Glück zu erarbeiten, nur um festzustellen, dass es sehr viel Kraft braucht, sich dieses Glück zu erhalten.

Wie gesagt: Die Geschichte klingt vielversprechend und auch die Bilder, die man im Trailer zu sehen bekommt, verstärken den positiven Eindruck. Mit dieser Vorbereitung im Kino, stellt man fest, dass der positive Eindruck für die ersten zwanzig anhält und dann beginnt man, sich zu fragen, was der Film will.
Das Potential der sehr speziellen Figuren verpufft in nichtssagenden Szenen, die selbst auf ästhetischer Ebene nicht überzeugen können. Man merkt lange nicht, was nicht stimmt, denn die Musik passt, die Bilder sind meistens schön und Handlungspunkte liegen eigentlich dicht bei einander. Doch alles zum Trotz bleibt der Film seelenlos und oberflächlich. Die Motive der Hauptfiguren halten einer direkten Hinterfragung nicht lange stand. Zum Beispiel die Tatsache, dass Irina als Vergewaltigungsopfer regelmäßig Anfälle bekommt, wenn ihr Freund Kalle sie berühren will, dieses Manko aber offenbar nicht auftritt, wenn sie einen Freier begrüßt, ist rätselhaft. Fast schon störend ist der Umschwung eine halbe Stunde vor Ende des Films. Aus dem zarten Liebesfilmchen wird ein Kriminalspiel mit einigen Szenen, die kotzfreudigen Schmetterlingen im Bauch eine neue Daseinsebene ermöglichen. Aber auch der Kriminalaspaket der Geschichte wird nur am Rande und ganz schnell abgehandelt, nur damit das Liebespaar am Ende sagen kann: „...bei allem, was wir durchgemacht haben...“
Wenigstens sind die beiden Hauptdarsteller Alba Rohrwacher und Vinzenz Kiefer positiv aufgefallen. Deren Zusammenspiel wirkt überzeugend und steckt voller Kraft. Man bekommt fast den Eindruck, die beiden warten die ganze Zeit auf den Startschuss; darauf, dass es endlich los geht.

Aber da rollt bereits der Abspann über die Leinwand und man hört einen von Dörrie verfassten und von Tomte-Sänger Thees Uhlmann produzierten Song. Im strauchelndem Schulenglisch heißt es hier „When you are happy, I am too“ und unterstreicht den Eindruck des gesamten Films. Ich war nicht glücklich, was Dörrie rein energetisch gesehen, spüren müsste und bei ihren nächsten Filmprojekten mehr in die Tiefe gehen sollte. So viel verschenktes Potential, lässt sich kaum wieder gut machen. Ein Film, der das vermag, wäre etwas Unfassbares und Ungreifbares. Eben so, wie pures Glück.

Glück (D, 2012): R.: Doris Dörrie; D.: Alba Rohrwacher, Vinzenz Kiefer, Matthias Brandt, u.a.; M.: Hauschka; Offizielle Homepage

In Weimar: lichthaus

Der Filmblog zum Hören: Jeden Donnerstag, 12:00 bis 13:00 Uhr auf Radio Lotte Weimar.