Freitag, 30. September 2011

Der große Crash - Margin Call

Kaum ein anderes Thema prägt unsere täglichen Nachrichten derzeit mehr. Finanzkrisen und Börsencrashs. Fotos von entsetzten Gesichtern der Broker zieren die Tageszeitungen und Oliver Stone sieht sich genötigt nach zwanzig Jahren eine Fortsetzung seines Wall Street Thrillers „Wall Street“ zu drehen. Doch auch andere Filmschaffende beschäftigen sich mit der Thematik. Regieneuling JC Chandor inszenierte nun auf Initiative Kevin Spaceys und Jeremy Irons '„Der Große Crash – Margin Call“ und stellt die Ereignisse um den Lehmann Crash 2008 nach.

New York, vor drei Jahren. Bei einem Bankenkonzern werden zahlreiche Mitarbeiter entlassen. Eine Prozedur, welche oft vorkommt und bei welcher die Firma sehr effizient und routiniert vor geht. Diesmal trifft es auch den Abteilungsleiter für Risikomanagement, Eric. Bevor er geht, drückt er einen der jüngeren Mitarbeiter noch ein paar Daten in die Hand. Nach Analyse dieser Daten stellt sich heraus, dass sich die Firma offensichtlich verspekuliert hat und kurz vor dem Zusammenbruch steht. Auch etwas, was jeden Tag passieren kann in diesem Geschäft. Allerdings hat es diesmal niemand kommen sehen. Schnell werden die Bosse zusammengetrommelt und man entscheidet sich für eine sehr folgenschwere Lösung.

Die Einzelheiten des gesamten im Film beschriebenen Vorgangs kapiert wahrscheinlich kein Mensch, der sich nicht mit dem ganzen Aktiengeschäft auskennt. Das trifft auf so ziemlich jeden Menschen zu, den ich kenne. Es ist mir nach wie vor ein Rätsel, wie jemand mit reinen Fantasiebeträgen reich werden kann. Offensichtlich geht es aber, denn die Figuren im Film haben allesamt ein nettes Sümmchen auf ihren Konten angehäuft. An dieser Stelle unternimmt der Film auch gar keinen Versuch, dem Zuschauer die Komplexität und Verworrenheit der Wall Street näher zu bringen. Hin und wieder kommen einem dramaturgische Kniffe zu Hilfe. Zum Beispiel weiß man, dass man über den eben gehörten Satz schnell noch mal nachdenken muss, wenn die Musik einsetzt. Außerdem führen die Figuren an manchen Stellen erläuternde Gespräche. Das sind Zugeständnisse an den Zuschauer, die allerdings nicht unpassend oder zu konstruiert wirken. Insgesamt hat der Film einen sehr zugänglichen Ton, was nicht zu letzt der geradezu sagenhaften Riege an hochkarätigen Schauspielern zu verdanken ist. Kevin Spacey, Demi Moore, Jeremy Irons, Paul Bettany und Zachary Quinto sind allesamt gute Schauspieler, und dem Zuschauer diese Geschichte zu vermitteln, ist vielleicht ihre größte Herausforderung gewesen. Man fragt sich natürlich, wie es denn sein kann, dass einige einzelne Menschen mit derartig großen Beträgen hantieren können, und damit ein ganzes Finanzsystem zu Fall bringen können. Der Punkt ist, dass es so bombastisch und kompliziert anmutet und sich kein normaler Mensch damit auseinander setzen will. Paul Bettany sinniert sogar: „Die Menschen wollen das. Sie geben uns einen Haufen Geld, damit wir das tun, was wir tun.“ Überhaupt wird immer nur von „der Sache“ oder „dem Geschäft“ gesprochen, was die gesamte Problematik der allgemeinen Unwissenheit unterstreicht. Selbstverständlich wird auch der moralische Aspekt „der Sache“ angesprochen, der manchen Figuren mehr und anderen weniger zu Schaffen macht. Aber egal, welche Skrupel diese Figuren auch haben mögen, nichts hindert sie daran, alles zu tun, da sie letztlich alle auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind.

„Der große Crash – Margin Call“ ist auf den ersten Blick nichts Besonderes. Solche Szenen und Gespräche hat man schon in „Wall Street“ und zahlreichen ähnlichen Filmen gehört und gesehen. Interessant ist allerdings die Botschaft, die dahinter steht, die sich dem Zuschauer erst viel später erschließt. Egal, wie groß „die Sache“ auch ist, nichts verhindert den großen Crash und der nächste wartet schon. Und noch eine Sache ist absolut sicher. Kein Börsencrash der Welt hat bis jetzt dafür gesorgt, dass sich irgendwas verändert. Und diese Erkenntnis gibt nun vielleicht ein paar Menschen mehr zu denken.

Margin Call (USA, 2011): R.: J.C . Chandor; D.: Kevin Spacey, Jeremy Irons, Paul Bettany, Zachary Quinto, u.a.; Offizielle Homepage

In Weimar: lichthaus

Der Filmblog zum Hören: Jeden Donnerstag, 12:25 Uhr auf Radio Lotte Weimar.

Freitag, 23. September 2011

Filmkunstmesse Leipzig - Donnerstag



Der letzte Abend in Leipzig. Morgen geht es wieder nach Hause. Auch, wenn die Filmkunstmesse für mich nicht ganz so gelaufen ist, wie ich es mir vorgestellt hatte, war es eine schöne Woche und ich habe einige hochinteressante Filme sehen können. Zeit für ein kleines Resumé.
Das Highlight für mich war auf jeden Fall „Melancholia“ (*), was man ja bereits gestern an einem leicht verzückten Tonfall bemerkt haben dürfte. Auch der Eröffnungsfilm „Habemus Papam“ war eine angenehme Überraschung. Das ist sowieso das, was am meisten Spaß macht. Man bekommt gute Filme zu sehen, die man überhaupt nicht auf dem Zettel hatte und sie machen Spaß. Insgesamt hinterlässt die Organisation des Festivals leider einen leicht fahlen Nachgeschmack. All diese Veranstaltungen, zu denen man als akkreditiertes Mitglied der Presse nur halb oder gar keinen Zutritt hatte machen keinen besonders guten Eindruck. Natürlich muss man anmerken, dass es sich um eine Fachmesse für die Branche handelt. Aber wenn man sich entscheidet, diese Messe zu öffnen, dann doch bitte richtig. Leipzig ist ein guter Standort und die Filmauswahl ist hervorragend. Es wäre schade, wenn dieses Potential verschenkt werden würde und ich hoffe sehr, dass die Filmkunstmesse in den nächsten Ausgaben offener wird, und so auch die Möglichkeit erhält, zu wachsen.

19:45 Uhr



Bei der Vorstellung der Programmkinostudie 2011 wurde immer wieder der deutsche Film erwähnt, und wie wertvoll Programmkinos für den deutschen Film wären. Also suche ich mir für heute einen entsprechenden Film aus. In der Schauburg wird der neue Film von „Friendship!“ - Regisseur Markus Goller gezeigt.
„Eine ganz heiße Nummer“ ist der Titel und er spielt in einem kleinen bayrischen Dorf. Hier hat die Finanzkrise zugeschlagen und die Glashütte des Ortes muss geschlossen werden, so dass viele Einwohner ihren Job verlieren. Aber auch der ansässige Lebensmittelladen hat zu kämpfen, denn die Einwohner fahren lieber zum nächsten Supermarkt, weil es dort natürlich billiger ist. Die drei Damen des Ladens, Waltraud, Maria und Lena versuchen nach Kräften, den Laden zu halten, doch da flattert ein Brief von der Bank ins Haus. Der Kredit wird gekündigt und sie müssen sehr schnell sehr viel Geld auftreiben. Maria wird indes ständig von einem obszönen Anrufer belästigt und da kommt ihr eine Idee, mit der die anderen beiden zunächst gar nicht einverstanden sind und von der das Dorf natürlich auch absolut nie etwas erfahren darf, schon gar nicht, da sich der Dekan zum Besuch angekündigt hat.

Der Film funktioniert nach dem gleichen Prinzip, wie schon „Sommer in Orange“ oder „Kalender Girls“ und lebt vor allem von den starken Kontrasten, die natürlich zahlreiche skurrile und komische Situationen provozieren. Das ganze in enorm ausgeprägter bayrischer Mundart, ergibt eine lockere Komödie, die zu unterhalten versteht. Schön ist, dass man Gisela Schneeberger wieder sieht, die ich zu Letzt in Gerhard Polts „Man spricht Deutsh“ erlebt habe und der diese Rolle wie auf den Leib geschneidert ist, Lustig sind auch die ersten Gehversuche als Telefonistinnen, die vor allem durch den Dialekt enorm großen Spaß machen. Auch, wenn der Film nicht die gleiche Intensität und Rafinesse, wie seinerzeit „Friendship“ erreicht, ist er eine liebenswerte kleine Komödie geworden, die ganz frech an den Stellen weiter geht, vor denen „Sommer in Orange“ ganz brav halt gemacht hat.
„Eine ganz heiße Nummer“ läuft ab dem 27. Oktober in den Kinos und ist – wie sollte es auch anders sein – sehr zu empfehlen.
Nett war außerdem, dass Regisseur Markus Goller selbst anwesend war, sich den Film mit dem Publikum zusammen angesehen hat und anschließend sehr sympathisch Fragen beantwortet hat. So kam dann doch am letzten Abend noch einmal richtiges Festivalfeeling auf.

Das war es von der Filmkunstmesse in diesem Jahr. Auf dem Blog wird es noch ein bisschen weiter gehen und all die Filme, die jetzt in aller Kürze besprochen wurden, begegnen uns natürlich wieder.

Eine ganz heiße Nummer (D, 2011): R.: Markus Goller; D.: Gisela Schneeberger, Bettina Mittendorfer, Rosalie Tomass, u.a.; M.: Peter Horn u,a,; Offizielle Homepage

Kineast On Air: Jeden Donnerstag, 12:25 Uhr auf Radio Lotte Weimar.

(*) Freitag Vormittag durfte ich noch unverhofft „Drive“ sehen. Die Sache mit dem Highlight ist also nicht mehr ganz so eindeutig. Dazu dann später mehr...

Donnerstag, 22. September 2011

Filmkunstmesse Leipzig - Mittwoch

12:00 Uhr

Der dritte Tag in Leipzig verwöhnt wieder mit perfektem spätsommerlichen Wetter und das motiviert. Auf einen dezenten Hinweis eines Hörers hin werden die letzten Kleinigkeiten an der Technik gefixt, so dass diese kurz vor Toresschluss dann endlich so funktioniert, wie sie soll.

17:00 Uhr

Per Mail flattert eine Einladung herein. Der Vorstand der Filmförderungsanstalt – kurz FFA – stellt die Programmkinostudie 2011 vor. Hier wird in Statistiken und Zahlen dargelegt, wie viele Programmkinos es in Deutschland gibt, wie viele Arthousefilme im Jahr in entsprechenden Kinos laufen, wie viele Zuschauer in Arthousefilme und -kinos gehen, wie alt diese Zuschauer sind, wie viel sie im Kino essen und trinken, und und und... Enorm viele Zahlen, die insgesamt ein sehr interessantes Bild ergeben, nämlich, dass es Programmkinos vorwiegend in großen Städten gibt, dass der Marktanteil insgesamt in diesem Jahr ein bisschen zurück gegangen ist, dass Kunstfilme, oder eben Arthousefilme ihre größten Erfolge in reinen Programmkinos erzielen, und dass es trotz einer zunehmenden Digitalisierung des Kinos – nicht zu Letzt durch 3D – es vor allem die Filme sind, die auf derartige technische Spielerein verzichten, die von den meisten Zuschauern am besten bewertet werden. Im Zusammenhang damit, ruft der Veranstalter der Filmkunstmesse Leipzig, die AG Kino, übrigens zu einem Umrüstungsstopp in allen Mitgliedstheatern auf. Der Grund hierfür ist, dass einige Verleihfirmen in letzter Zeit gerne Kinos vernachlässigt haben, die noch nicht über digitale Ausrüstung verfügen, sich nun aber immer noch weigern, die anfallenden Umrüstungskosten für die Lichtspielhäuser zumindest teilweise zu tragen. Die Ergebnisse der Studie und alle Zahlen und Statistiken einzeln abrufbar, findet ihr hier.

20:30 Uhr

Foyer Schauburg

Wie gestern angekündigt, mache ich mich auf den Weg, um mir „Melancholia“ anzusehen. Auch, wenn mir von Triers letzter Film „Antichrist“ nicht gefallen hat, kam ich nicht umhin, mich vom Hype um sein neues Werk anstecken zu lassen. Der letzte Trailer versprach unglaublich tolle Bilder und sofort musste ich an „Tree Of Life“ denken. Also auf zur Schauburg, ein weiteres sehr sympathisches Kino in Leipzig. Hier erwartet mich eine große Menschenmenge, die sich um den Eingang und die Kasse des Kinos drängt. Offensichtlich wollen all diese Menschen in den gleichen Film. Es heißt Schlangestehen und dann heißt es „Wir sind voll“. Resigniert will ich schon gehen, da verkündet jemand das unerwartete Auftauchen weiterer sechs Tickets. Unglaubliche Szenen spielen sich ab, die nicht weiter vertieft werden müssen. Fakt ist: Ich bin der letzte Mensch, der in den Saal eingelassen wird und noch während ich meinen Platz in der ersten Reihe suche, starrt mich Kirsten Dunst in Supra-Zeitlupe an und dazu erklingt das Tristan-Thema von Richard Wagner. Und dann geht es los und hört erst nach zwei Stunden auf. An dieser Stelle will ich gar nicht mehr verraten, denn irgendwie braucht der Film auch noch eine Weile, um sich zu setzen. Nur so viel: Es ist ein beeindruckender Film und Lars von Trier hat sein Talent für das Tragische und für das Kreieren einprägsamer Bilder weder verloren noch neu erfunden. Kirsten Dunst liefert eine sehr beeindruckende Leistung ab, die nicht umsonst mit der Palme D'or des Cannes honoriert wurde.

Im Schaukasten: Melancholia

All zu lange muss das Publikum nicht mehr warten, denn „Melancholia“ startet am 6. Oktober auch in Weimar und spätestens dann wird es hier einen ausführlichen Beitrag dazu geben. Um im Tonus der letzten Tage zu bleiben: Es wird dringend empfohlen, den Film zu sehen
Morgen stehen einige Filme auf dem Programm, deren Titel mir noch nicht viel sagen, und ich weiß noch nicht, für welchen ich mich entscheiden werde. Einfach überraschen lassen.

Melancholia (DK, S, GB, 2011): R.: Lars von Trier; D.: Kirsten Dunst, Charlotte Gainsbourg, Kiefer Sutherland, John Hurt, u.a.; Offizielle Homepage

Der Nächste Kineast: Freitag, irgendwann zwischen 10:00 und 13:00 Uhr, auf Radio Lotte Weimar

Mittwoch, 21. September 2011

Filmkunstmesse Leipzig - Dienstag


12:00 Uhr

Nach dem gestrigen Debakel mit der Technik, wird heute als erstes das Equipment gesichtet, getestet, dran herum gespielt und letztendlich sogar einigermaßen zum Laufen gebracht. Tagsüber wird ein bisschen in der Stadt herum gefahren und das spät sommerliche Wetter versöhnt etwas mit dem Umstand, dass man nun doch plötzlich viel mehr Zeit hat, als ursprünglich gedacht.

22:15 Uhr


Dann geht es wieder in die Passagenkinos in der Innenstadt, eine Einrichtung, die es mir irgendwie angetan hat. Es hat alles ein ganz besonderes Flair, welches irgendwie an goldene, längst vergangene Tage denken lässt. Auch ist die Filmauswahl, die hier in der Regel präsentiert wird, sehr interessant und hebt sich angenehm von anderen mainstreamiger geprägten Multiplex-Kinos ab. Hier fand gestern bereits die Eröffnungsveranstaltung statt und hier hin verschlägt es mich auch am heutigen Abend.
Es wird „Tyrannosaur – Eine Liebesgeschichte“ gezeigt, der Regie-Erstling des englischen Schauspielers Paddy Considine. Considine ist hierzulande nicht all zu bekannt, hat aber bis heute in knapp 30 – überwiegend britischen – Produktionen mitgespielt. Beim diesjährigen Sundance Festival gewann er den World Cinema Regiepreis und der Film gilt schon jetzt als ein absolutes Highlight der britischen Filmkultur.

„Tyrannosaur“ erzählt von Joseph, der alleine in einem verwahrlosten Vorstadtviertel lebt. Er ist stets stark gerizt und stürzt sich, ohne große Überlegungen in jeden sich bietenden Konflikt. Er sieht in seiner ständigen Wut selbst ein Problem und weiß nicht, wie er sie beherrschen soll. Eines Tages kommt er in den Laden von Hannah. Sie betreibt eine Art An- und Verkauf für die ärmeren Bewohner des Viertels, lebt selbst allerdings in gut betuchten Verhältnissen. Sie ist sehr gläubig und fühlt sich berufen, sich Joseph anzunehmen und sich um sein Seelenheil zu kümmern. Der sieht in ihren Ansichten allerdings bloß Konfliktpotential und fackelt nicht lange, ihr kräftig vor den Kopf zu stoßen. Bald stellt sich allerdings heraus, dass Hannah mit ihrem Leben und ihrer Ehe mit einem ziemlich gestörten Ehemann ganz und gar nicht zufrieden ist und Joseph merkt, dass er wohl doch etwas für sie empfindet, und sei es nur Reue.

Was sich zunächst anhört, wie eine ganz normale Liebesgeschichte, entpuppt sich schnell als einer der ehrlichsten Filme, die ich in letzter Zeit gesehen habe. Es fällt auf, dass jüngst viele, sehr harte und deprimierende Filme aus Großbritannien kommen. Man denke bloß an „Harry Brown“ und im letzten Jahr an „Fish Tank“. Angesichts der heftigen Krawalle, die das Land erschütterten, dürfte wohl jeder mitbekommen haben, dass auf der Insel einiges im Argen liegt. „Tyrannosaur“ nimmt den Zuschauer an die Hand, führt ihn mitten hinein, und lässt ihn dann dort stehen. Man bekommt die gesamte und ungeschönte Wahrheit zu sehen. Vielen Menschen geht es schlecht und sie leben am Existenzminimum, wohin gegen ein kleiner Teil der Bevölkerung ein wohlhabendes Leben führen darf. Das ganze Land ist voller Kontraste und die prallen in diesem Film ungehemmt aufeinander. Die beiden Hauptdarsteller Peter Mullan und Olivia Colman liefern unglaublich detailierte und intensive Darstellungen ab und Regisseur Paddy Considine unterstützt diese starke Leistung mit einem unglaublich nahen Stil. Dieser Film deprimiert und fasziniert zugleich und auch wenn nicht viel Schönes zu sehen ist, schafft er ein Quasi-Happy-End, ohne gekünstelt, oder aufgesetzt zu wirken.

Ganz sicher ist „Tyrannosaur“ ein großes Highlight in diesem Restkinojahr, das lange im Gedächtnis bleiben wird und das schaffen nur Filme, die über etwas Wahres und Echtes berichten. An dieser Stelle also der gleiche Text, wie gestern. Ab 13. Oktober läuft der Film in den deutschen Kinos und wird dringend empfohlen. Das war's vom Messe-Dienstag. Morgen wird es um die filmgewordene Traurigkeit gehen, denn ich werde mir Lars von Trier's Melancholia ansehen. Bis dann.

Tyrannosaur (GB, 2011): R.: Paddy Considine; D.: Peter Mullan, Olivia Colman, Eddie Marsan, u.a.; M.: Dan Baker; Filmstartsseite

Der nächste Kineast: Donnerstag, 12:25 Uhr auf Radio Lotte Weimar.

Dienstag, 20. September 2011

Filmkunstmesse Leipzig: Montag


16:00 Uhr

Nachdem die Anreise souverän absolviert ist, und an der Pressestelle das sogenannte Badget abgeholt ist, wird zunächst das Programm studiert. Erste große Ernüchterung: Zu den meisten Vorführungen hat die Presse keinen Zutritt. All die viel versprechenden Titel und Filme, auf die ich mich eigentlich am meisten gefreut habe, sind den Branchenbesuchern – also Kinobetreibern und Vertretern von Filmverleihen vorbehalten. Hier wird ganz gut deutlich, welche Ursprünge dieses Festival hat. Eigentlich nur als Fachmesse gedacht, sprach sich die Veranstaltung immer mehr herum und wurde nun auch für Publikum und Presse geöffnet. Ein paar Perlen sind dann doch dabei: So wird unter anderem die diesjährige Überraschung aus Großbritannien „Tyrannosour“ gespielt und das Außenseiterprojekt „This Must Be The Place“ mit Sean Penn, welches schon jetzt viel zu viel Berühmtheit für diesen Status erlangt hat. Wen wundert's? Es geht um Rock'n'Roll!

20:00 Uhr

Vom Schaukasten abfotografiert: Habemus Papam

Nach der ersten Aufregung und der ersten Beruhigung widme ich mich dem Eröffnungsfilm. Ein Titel, von dem ich vorher noch nichts gehört hatte, den man sich allerdings merken sollte, bis er in Deutschland demnächst startet. „Habemus Papam“ heißt er, hat einen etwas unglücklichen deutschen Titel bekommen und bildet das neue Werk des gefeierten italienischen Regisseurs Nanni Moretti. Es geht um Kardinal Melville, der nach dem Tod des Papstes zu dessen Nachfolger gewählt wird. Also eigentlich wurde er ja von Gott erkoren, dieses ehrenvolle, höchste Amt ausüben zu dürfen. Allerdings ist Melville ein sehr sensibler Mensch, der lieber in den Tag hinein lebt und Gott auf seine liebenswerte Art dient. Er ist mit dieser Aufgabe völlig überfordert und weigert sich schlicht, seine Pflichten als neuer Pontifex zu erfüllen. Der Vatikan ist völlig ratlos und lässt einen Psychologen kommen, da ist der heilige Vater allerdings schon ausgebüxt. Dieser Film wurde in Italien ein absoluter Überraschungserfolg und selbst viele Wochen nach Kinostart, werden die Schlangen an den Kinokassen nicht kürzer. Grund hierfür ist wohl, dass einschlägige, katholische Zeitungen des Landes den Film verrissenen und behaupteten, er würde ihre Religion beleidigen. Die Wogen versuchte Radio Vatikan zu glätten, indem verlautbart wurde, der Film wäre sehr menschlich und würde das Amt des Papstes keinesfalls ins Lächerliche ziehen. Dem kann ich nur zustimmen. Mit sehr schlichten Bildern werden viele fremdartig anmutende Szenen dargestellt, etwa die Wahl des Papstes, welche ja stets unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt findet, oder eine skurrile Volleyball-Meisterschaft im Hof der Sixtinischen Kapelle. Melville wird sehr gekonnt und gründlich von Hauptdarsteller Michel Piccoli verkörpert und all das, was den Film eigentlich zur Komödie machen sollte wirkt einfach nur schön und so, als habe man an etwas besonderem Teil.
„Habemus Papam“ ist ein kleiner Film, der sich einer faszinierenden Thematik widmet und das Kunststück vollbringt, den Quasigott Papst, zu dem zu machen, was er eigentlich ist: Ein Mensch. Der Film hat in Deutschland am 13. Dezember Bundesstart und wird hiermit ausdrücklich empfohlen.

Passagenkino Leipzig

3:34 Uhr...

Nach stundenlangen Kämpfen mit der mitgebrachten Technik ist der Radiobeitrag für Dienstag endlich fertig. Das Ergebnis ist nicht besonders befriedigend, denn das eingebaute Laptopmikrofon bietet nicht die gewünschte Klangqualität. Morgen ist auch noch ein Tag und der verspricht hoffentlich zumindest den Sieg über die Technik. Drückt die Daumen!

Habemus Papam (I, 2011):R.: Nanni Moretti; D.: Michel Piccoli, Jerzy Stuhr, Nanni Moretti, u.a.; M.: Franco Piersanti; Offizielle Homepage.

Der nächste Kineast im Radio: 21.09.2011 um 11:35 Uhr auf Radio Lotte Weimar.

Donnerstag, 8. September 2011

Midnight in Paris

Er ist ein wahres Phänomen der Filmgeschichte. Seit mehr als 40 Jahren ist er unermüdlich dabei, neue Filme zu schreiben, zu produzieren und hin und wieder in ihnen mit zu spielen. Es geht stets um die Wirren menschlicher Beziehungen, und diese Wirren werden in verstrickten Dialogen ausdiskutiert, bis es kein Halten mehr gibt. Habe ich in den letzten Jahren seine Filme gelangweilt, ja sogar erbost verlassen, betrachte ich Woody Allens neuen Film „Midnight in Paris“ fast als Friedensangebot.

Gil und Inez sind frisch verlobt und besuchen die französische Hauptstadt. Während Gil vom faszinierenden Flair der Stadt der Liebe begeistert ist, schwärmt Inez eher für Modebouthiquen und Einrichtungshäuser. Inez' Eltern sind auch in Paris und sie fühlen sich gar nicht wohl, denn der Vater – ein republikanischer Hardliner – nimmt den Franzosen ihre Außenpolitik dermaßen übel, dass er die Stadt abgrundtief zu hassen beginnt. Die Letzten im Bunde sind Paul und Carol, ein befreundetes Paar, welches ebenfalls in Paris verweilt, um Urlaub zu machen. Paul ist ein echter Klugscheißer, wie er im Buche steht und hat zu allem und jeden einen belanglosen Kommentar parat. Bei derartiger Gesellschaft beginnt Gil, sich schnell zu langweilen, sucht er doch eigentlich Inspiration für seinen Roman. Doch keiner seiner Freunde teilt seine nostalgische und romantische Ader. Eines Abends steuert Gil nach einer Weinverkostung leicht beschwipst durch die pittoresken Straßen auf der Suche nach seinem Hotel. Als es Mitternacht schlägt hält plötzlich ein altmodisches Auto und dessen Insassen laden ihn ein, zu einer ganz besonderen Party zu fahren. Plötzlich landet Gil im Haus von Scott und Zelda Fitzgerald und trifft dort nicht nur Ernest Hemmingway, sondern sogar Gertrude Stein und Pablo Picasso, die allesamt seine ganz persönlichen Helden sind. Er verbringt eine rauschende Nacht und am nächsten Morgen glaubt er, er hätte alles geträumt.

Wer in den letzten Jahren den Blog verfolgt hat, weiß vielleicht jetzt schon, wie mir „Midnight in Paris“ gefallen hat. HA HA! Irrtum. Entgegen aller Erwartungen war ich nämlich recht angetan und sogar fast schon amüsiert über den neuen Film. Auch, wenn es im Kinosaal um mich herum ununterbrochenes Gekicher und Gegluckse gab, und ich mich nicht getraut habe, zu fragen, was gerade so lustig sei, fühlte ich mich hier seit langem mal wieder wohl in einem Woody Film. Woody Allen hat eben eine sehr altmodische Art, Filme zu machen und Geschichten zu erzählen. Dass sein Konzept nicht mehr zeitgemäß ist, merkt man jeder Minute des Films an. Aber er ist eben Woody Allen. Er geht auf die 80 zu und es sind wohl keine Quantensprünge mehr zu erwarten und den großen Wurf, hat er doch in all den Jahren und ebenso vielen Filmen längst absolviert. Mich störte, dass seine Filme immer einfallsloser wurden. Oberflächliche Figuren, die sich stundenlange belanglose Debatten über Seeigelzefish lieferten. Furchtbar. Mit dem Element der Reise in die Vergangenheit kommt nun endlich etwas Abwechslung rein, so albern und unrealistisch es auch sein mag. Es ist schon fast niedlich, auf welch plumpe Art die mäßig kostümierten und geschminkten Berühmtheiten in die Handlung eingeführt werden und entbehrt nicht einer gewissen unfreiwilligen Komik. Hier blitzt auch hin und wieder Allens Talent für die alte Komödie durch, welches er in seinen nächsten Filmen vielleicht ein bisschen mehr einfließen lassen sollte. Außerdem sind zahlreiche hochkarätige Schauspieler zu sehen, die in ihren Rollen sehr viel Spaß zu haben schienen, inklusive Owen Wilson als Gil. Es gibt einige lustige Situationen, in denen Gil mit Hemingway über seinen Roman und mit Salvador Dali über die Ästhetik von Nashörnern diskutiert. Die Gespräche in der Gegenwart sind eher Allen-untypisch, wischt er doch all die Kleinigkeiten, die sonst stets Gegenstand ewiger Gespräche waren rotzfrech und fast schon schnoddrich zur Seite.

Trotz all der positiven Dinge, die mir plötzlich an seiner Arbeit auffallen, ist „Midnight in Paris“ immer noch ein typischer Allen-Film, auch wenn ich mir mittlerweile von einigen Allen-Experten bescheinigen ließ, dass ihnen dieser Film nicht besonders gefallen hat. Darin kann ich nur Gutes erkennen und freue mich nun fast schon auf den nächsten Streich. Der kommt nächstes Jahr, trägt den etwas kryptischen Titel „The Bop Decameron“ und zeigt Jesse Eisenberg und Ellen Page. Yay!

Midnight in Paris (USA, F, 2011): R.: Woody Allen; D.: Owen Wilson, Rachel McAdams, Kathy Bates, Adrien Brody, u.a; Offizielle Homepage

In Weimar: lichthaus

Kineast On Air: Jeden Donnerstag, 12:25 Uhr auf Radio Lotte Weimar.

Dienstag, 6. September 2011

Kineast bei der Filmkunstmesse Leipzig 2011


Vom 19. bis zum 23. September findet in Leipzig die 11. Filmkunstmesse statt, ein festival, welches sich wachsender Beliebtheit sowohl bei Fachbesuchern, wie auch dem öffentlichen Publikum erfreut. Ich werde da sein und mir das ganze Theater mal ansehen. Neben zahlreichen Filmen, deren Titel ich noch nie vorher gehört habe, die aber allesamt interessant zu werden versprechen, freue ich mich schon jetzt auf einige Filme besonders. Es wird unter anderem der neue David Cronenberg ("A Dangerous Method"), wie auch der diesjährige Cannes-Regiepreis-Gewinner "Drive" gezeigt.

Hier wird es jeden Tag eine Art Live-Ticker geben, der die Impressionen der Messe und erste Eindrücke von den gesehenen Filmen nach lesen lässt.
Ich freu mich wie ein Honigkuchenpferd und es werden ein paar schöne Tage im schönen Leipzig werden.

Los geht's dann ab Montag (19.09.) Nachmittag.
Bis spätestens da hin.

Montag, 5. September 2011

Mein bester Feind

Wir mögen spannende Geschichten. Geschichten, in denen die unterschiedlichen Menschen mit unterschiedlichen Eigenschaften unter besonderen, vielleicht sogar extremen Umständen mit ihren eigenen Dämonen konfrontiert werden, sind immer die besten und bieten guten Stoff, der es wert ist, ebenso spannend und gut verfilmt zu werden. Diese Voraussetzungen bringt auch der neue Film von Wolfgang Murnberger „Mein bester Feind“ mit. Was fängt der gefeierte Regisseur von solch heiß diskutierten Filmen, wie „Silentium“ und „Der Knochenmann“ mit diesen Zutaten an?

Wien 1930. Die jüdische Familie Kaufmann gehört zu den angesehensten Bürgern der Stadt und betreibt eine international hoch anerkannte Galerie. Der Sohn Victor ist ihr ganzer Stolz und bereitet sich darauf vor, das Familiengeschäft zu erben. Leicht hatte es die Familie in der letzten Zeit aber nicht. Ihre Zweigstelle und Wohnung in Nürnberg mussten sie wegen der aufkommenden Anfeindungen gegen die jüdische Gemeinde räumen und Deutschland verlassen. In Wien haben sie nun Ruhe gefunden und hoffen natürlich, diese Ruhe so lange wie möglich erhalten zu können. Eines Tages taucht dann Rudi auf. Er ist der Sohn des Hausmädchens der Familie und ist bei den Kaufmanns aufgewachsen. Er gehört praktisch zur Familie. Bei einer Vernissage wird das Gerücht geäußert, die Familie sei in Besitz einer lange verschollenen Zeichnung Micheangelos. Das erweckt das Interesse der Nazis, die mittlerweile vor den Toren Wiens stehen. Mussolini hat sich nämlich für einen Staatsbesuch in Berlin angekündigt und um die Allianz zu festigen, will Hitler ihm diese Zeichnung übergeben. Hier kommt Rudi ins Spiel, denn der hegt heimlichen Hass gegen die Familie Kaufmann. Sein Leben lang fühlte er sich unter den Scheffel gestellt und hatte immer das Gefühl, im Schatten der reichen Herrschaften zu stehen. Er wird Mitglied der SS und verrät dem Kommandanten, wo sich das Versteck der Zeichnung befindet. Die Zeichnung wird beschlagnahmt und die Familie kurzerhand ins KZ geschickt. Bei einem vorbereitenden Besuch einer italienischen Delegation stellt ein Kunstexperte allerdings fest, dass es sich bei der beschlagnahmten Zeichnung um eine Fälschung handelt. Rudi bekommt nun nachdrücklich den Auftrag, die echte Zeichnung zu besorgen und begibt sich deshalb ins KZ, um den dort inhaftierten Victor aufzusuchen. Der ist natürlich gar nicht begeistert, seinen Peiniger und ehemaligen besten Freund wieder zu sehen.

Ohne irgendein Gefühl des Bedauerns oder schlechten Gewissens könnte ich jetzt hier die gesamte Handlung des Filmes, inklusive des leicht vorhersehbaren Endes nach erzählen. Insgesamt hat der Film bei mir nämlich keinen so guten Eindruck hinterlassen. Die Figuren sind allesamt oberflächlich konzipiert und bei den beiden Hauptcharakteren fragt man sich andauernd nach deren Motiven und Gedanken. Außerdem ist die Verlagerung eines spannenden Katz-und-Maus-Spiels in die Geschichte der Nazidiktatur auch eher verunglückt. Durch das ständige Hin und Her zwischen den beiden Kontrahenten mit haarsträubenden Situationen von Rollentausch über unlautere Verhörmethoden und Verfolgungsjagden gerät die Darstellung des eigentlich ernsten historischen Hintergrunds sehr verharmlosend. Auch nimmt man Georg Friedrich seinen plötzlichen und radikalen Sinneswandel nicht recht ab und Moritz Bleibtreu behält einen neutralen Gesichtsausdruck bei, ob es nun um das Anziehen einer SS-Uniform und das sich Ausgeben als Nazisoldat geht, oder das Leben im KZ; Bleibtreu guckt immer gleich. Er ist durchaus ein guter und fähiger Schauspieler, der aber stets einen bestimmten Typ Menschen spielen kann, der in seinen Eigenschaften wahrscheinlich im Wesentlichen Bleibtreus eigenem Charakter entspricht. Und das kann er eben nicht abstellen, wenn er mal eine andere unterschiedliche Figur spielen muss. Das hat man im Übrigen auch schon in „Jud Süß – Film ohne Gewissen“ gesehen. Bleibtreus Darstellung von Goebbels war sicher wohl vorbereitet und mit viel Mühe erarbeitet, überstieg aber seine Fähigkeiten.

„Mein bester Feind“ ist unausgegoren und oberflächlich und wirkt obendrein noch verharmlosend. Von bitterböser Satire und dem inneren, wie auch äußeren Kampf zwischen Gut und Böse oder Richtig und Falsch ist hier leider nichts zu spüren und Murnberger bietet mit diesem Film nur noch einen blassen Schatten seiner selbst. Schade, denn die Kombination der Darsteller und der einzelnen Sotryteile hätte wesentlich spannender sein können. So wird hier lediglich Potential verschenkt. Nochmal Schade!

Mein bester Feind (AT/D, 2011): R.: Wolfgang Murnberger; D.: Moritz Bleibtreu, Georg Friedrich, Ursula Strauss, u.a.; M.: Yariv Vaknin; Offizielle Homepage

In Weimar. lichthaus

Kineast On Air: Jeden Donnerstag, 12:25 Uhr auf Radio Lotte Weimar.

Sommer in Orange

Der Sommer ist da! Auch, wenn wir sehr lange darauf warten mussten, werden wir jetzt dafür mit der vollen Ladung belohnt. Doch was ist das? Wieder scheint es Stimmen zu geben, die nicht zufrieden zu stellen sind. Es wäre zu warm? Wann regnet es denn endlich? Früher war alles besser! Früher war alles besser? Ja, auch was das angeht, musste ich mich belehren lassen und erfahren, dass heutige Sommer doch gar nix mehr sind im Vergleich zu den Sommern der wilden 80er. Damals hat man es noch verstanden, einen richtigen Sommer zu zelebrieren und die Farbe des Sommers war damals nicht langweiliges Lavendel, sondern Orange!

Eine Gruppe Bahgwan Sonnenanbeter kommt aus der grauen und tristen Großstadt Berlin ins ländlich idyllische Talbichl mitten in Bayern. In Zeiten der Teilung und des kalten Krieges sollte man sich über jene stets freundlich gesinnte Menschen eigentlich freuen können. Als sie jedoch das Therapiezentrum Talbichl eröffnen wollen und ihren täglichen Ritualen nach gehen, sind die Bewohner des vorwiegend katholisch geprägten Dorfes verunsichert. Nicht nur das vermeintliche Lotterleben dieser Tunichtgute, auch die Freizügigkeit der Sonnenanbeter sorgt für ständige Schocks. „Ja wer kümmert sich überhaupt um die Kinder? Was sind die? Vegetarier? Soll das heißen, die essen kein Würstel zum Kartoffelbrei? Das schmeckt doch gar nicht. Und überhaupt! Diese bunten Klamotten. Sowas haben wir in unserer Jugend nicht getragen und wenn meine Kinder in so einem Aufzug nach Hause kämen, würde ich denen dir Hammelbeine lang ziehen. Und überhaupt! Wie die alle aussehen. Die sehen doch aus wie Terroristen. Ja Ja! Terroristen sind das. Ganz bestimmt. Und, was die für Gesänge ausstoßen. Nicht, dass es am Ende gar Teufelsanbeter sind. Und überhaupt! Die haben doch den ganzen Tag nichts besseres zu tun, als splitterfaser nackt durch den Garten zu hüpfen. Wenn die Kinder das sehen, dann ist doch klar, dass die völlig durchdrehen und nur noch Flausen im Kopf haben...“

Marcus Rosenmüller kommt aus Bayern und hat sich bereits in seinem letzten Film „Die Perlmutterfarbe“ mit der Kultur seiner Heimat auseinander gesetzt. Diesmal lässt er diese Kultur auf extreme Kontraste prallen. Die zugeknöpften und konservativen Dorfbewohner aus dem tiefsten Bayern treffen auf die freikörperkulturell veranlagten Sonnenanbeter, die der freien Liebe frönen und ihr Schakkra pflegen, als gäbe es kein Morgen. Zusätzlich dreht sich aber auch alles um die Frage nach der eigenen Identität, der vor allem die zugezogenen Kinder nach gehen. In der Schule zwischen all den Dorfkindern, finden diese mit ihren ungewöhnlichen Sichtweisen kaum Anschluss und versuchen nun, sich zu integrieren. Das wiederum findet deren Mutter gar nicht in Ordnung. Rosenmüller pflegt hier wieder ein Motiv, welches er häufig einsetzt. Er rückt Kinder in den Fokus und sie übernehmen die Hauptrollen. Dadurch wird die ohnehin verwirrende Situation noch komplexer, da man alles aus Sicht der Kinder dargestellt bekommt. Das macht die Geschichte enorm dynamisch und abwechslungsreich und verstärkt den ohnehin krassen Kontrast zwischen diesen beiden Welten noch um ein Vielfaches. Erstaunlich ist, dass es die recht charismatischen Darsteller, wie Petra Schmidt-Schaller oder Oliver Korittke schaffen, sich zurück zu nehmen und die Bühne tatsächlich den Kindern überlassen können.

„Sommer in Orange“ ist ein netter kleiner Film, dessen Hauptmotiv natürlich die großen Unterschiede zwischen den Lebenseinstellungen der Sonnenanbeter und der bayrischen Dorfbewohner ist. Der Film gibt sich keine große Mühe, noch mehr dazu zu packen und nutzt dieses eine Motiv voll aus. Das nimmt ihm etwas an Originalität und macht ihn manchmal etwas zu vorhersehbar. Trotzdem ist es solide Unterhaltung. Nicht mehr zwar, aber immerhin auch nicht weniger.

Sommer in Orange (D, 2011): R.: Marcus H. Rosenmüller; D.: Petra Schmitt-Schaller, Oliver Korittke, Georg Friedrich, u.a.; M.: Gerd Baumann; Offizielle Homepage

In Weimar: lichthaus

Kineast On Air: Jeden Donnerstag, 12:25 Uhr auf Radio Lotte Weimar.