Donnerstag, 31. März 2011

Biutiful

Es war eine kleine Sensation. „Babel“ war eine relativ schlichte Produktion, der kaum Chancen eingeräumt wurde, auf dem internationalen Markt zu bestehen, geschweige denn, wichtige Filmpreise und Belobigungen zu erhalten. Die Gründe hierfür sind relativ klar. Es handelt sich um einen Episodenfilm, der zu drei Vierteln mit Untertiteln unterlegt ist. Das mag wichtig sein, um das eigentliche Thema – die Wirren der verschiedenen Sprachen – zu veranschaulichen, ist aber erfahrungsgemäß ein echter Publikumskiller. Die Überraschung war perfekt. Der Film erreichte ein enormes Einspielergebnis, floppte nicht einmal in den USA und kassierte Oscar-Nominierungen in allen wichtigen Kategorien, die er 2007 nur wegen der unglaublich dicht gesäten ebenbürdigen Konkurrenz nicht in Auszeichnungen umwandeln konnte. Alles in Allem war es ein voller Erfolg und Regisseur Inarritu hatte allen Grund, sich selbst die Schulter zu klopfen. Trotzdem hat er sich vier Jahre Zeit gelassen, einen neuen Film zu machen, der nun auch endlich in weimarer Kinos zu sehen ist.

Uxbal ist ein Kleinkrimineller, der sich in Barcelona durch schlägt. Seine Haupteinnahmequelle sind illegale Einwanderer aus Afrika, die sich als Straßenhändler und Dealer betätigen. Er verschafft ihnen gute Plätze und hält ihnen die Polizei vom Hals. Außerdem vermittelt er für ein paar chinesische Industrielle Jobs für deren illegale Arbeitskräfte. Zusätzlich betätigt er sich als Medium und wird von Menschen gerufen, die einen verstorbenen Mitmenschen betrauern. Er nutzt telepathische Fähigkeiten, um letzte Botschaften der Toten zu empfangen. Er weiß, dass ein Verstorbener niemals würde gehen können, wenn er in der Welt der Lebenden noch etwas unerledigt zurück gelassen hat. Nachdem er nach einer Routineuntersuchung beim Arzt eine erschütternde Nachricht erhält, will er sich verstärkt der Familie widmen, damit er eben nichts zurück lassen muss und in Frieden die Welt verlassen kann.

„Biutiful“ erzählt zwei Geschichten. Wir erleben einmal den etwas aufgeplusterten Leidensweg des kleinen Gangsters Uxbal, der immer wieder ins Mystische und auch ins Melodramatische, gar Kitschige abrutscht. Der andere Part ist wesentlich realistischer und härter und berichtet über das Leben am Rande der Gesellschaft in einer riesigen Stadt, wie Barcelona. Während Uxbal immer wieder in Szenen, familiärer Banalitäten zu sehen ist, führt uns Inarritu stets die ungeschönte Wahrheit vor Augen, was mitunter in schockierenden und drastischen Szenen gipfelt. An diesen Stellen kommt der Film aber immer wieder ins Straucheln, denn irgendwie wirken diese beiden Teile der Geschichte so inkompatibel, dass das Gesamtbild und die Glaubwürdigkeit des ganzen Films immer wieder Flöten geht. Allerdings schafft es der Film mit viel Mühe, den Zuschauer immer wieder auf den richtigen Weg zu bringen, und baut an den richtigen Stellen eine enorme Spannung auf. Trotzdem ist das Erzählkonzept von „Biutiful“ nicht so flüssig und ausgereift, wie das bei „Babel“ gelungen ist. Man gewinnt den Eindruck, der Film will zu viel erzählen und ist trotz seiner langen Laufzeit enorm voll gepackt und geradezu überladen. Trotz einiger Kleinigkeiten, die mich noch stören, was die technische Umsetzung mancher Szenen angeht, beeindruckt der Film allein durch die mächtigen und ausdrucksstarken Bilder, die ununterbrochen auf die Sinne prasseln und das war ja seinerzeit auch die größte Stärke von „Babel“.

„Biutiful“ ist gut, aber nicht so gut, wie man es angesichts der langen Produktionszeit und des fantastischen Hauptdarstellers hätte erwarten können. Die Mängel des Films sind eben nicht den Fähigkeiten der Mitwirkenden geschuldet, sondern dem Gesamtkonzept, welches sich einfach einen Tick zu viel vorgenommen hat. Sehenswert ist „Biutiful“ allemal, schon allein, um sich wieder mal zu beweisen, dass Javier Bardem einer der besten und vielseitigsten Schauspieler unserer Zeit ist, und es hoffentlich noch sehr lange bleiben wird.

Biutiful (ESP, MEX, 2010): R.: Alejandro Gonzales Inarritu; D.: Javier Bardem, Maricel Alvarez, Eduard Fernandez, u.a.; M.: Gustavo Santaolalla; Offizielle Homepage

In Weimar: lichthaus

Rezensionen On Air: Jeden Donnerstag, 12:25 Uhr auf Radio Lotte Weimar.

Dienstag, 29. März 2011

Den hatte ich verpasst - Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt

„Nerd: (engl. für Schwachkopf) Der Nerd ist ein Soziotypus der Informationsgesellschaft.“ heißt es im Duden. Nerds verfügen außerdem über herausragende Videospiel-Kenntnisse (sog. Skills) und zeichnen sich durch ein enormes Fachwissen auf sehr speziellen Gebieten aus. Nerds sind außerdem außer Stande, zwischenmenschliche Beziehungen aufrecht zu erhalten und soziale Kontakte zu pflegen. Hinzu kommt eine konsequente Ignoranz gegenüber Ordnung oder Hygiene. Nerds gelten als Sonderlinge und vegetieren am Rande der Gesellschaft. Da Nerds weder psychisch noch physisch an irgendeiner diagnostizierbaren Krankheit zu leiden scheinen, gibt es nahezu keine Möglichkeit, sie von ihrem Leiden zu befreien. Das größte Problem hierbei scheint das mangelnde Verständnis dieser Gattung zu sein. Unsere Gesellschaft ist eben einfach nicht für Nerds geschaffen. Das erstaunlichste an Nerds ist aber, dass sie diesen Zustand der sozialen Isolation vollkommen bewusst wählen und alles dafür tun, ihn zu erhalten. Um ein anschauliches Beispiel zu nennen: Fängt die Mutter eines Nerds an, sich für die Hobbys ihres Sohnes zu interessieren, ist dieser auf dem besten Weg, bald kein Nerd mehr zu sein.

Scott Pilgrim ist 22 Jahre alt, lebt im fernen Land Toronto, Kanada, spielt Bass in der Band „Sex Bob Omb“ und datet was 17-jähriges. Knives ist 17, Chinesin und Scotts Freunde – allen voran seine Schwester – können es nicht fassen. Scott ist nämlich ein Möchtegern-Frauenheld und hat sich eigentlich noch gar nicht von seiner letzten Trennung erholt, die für ihn nicht hätte schmerzhafter sein können. Eines Tages trifft er auf Ramona Flowers. Sie ist das schönste und coolste Mädchen, das er je gesehen hat und weiß sofort und ganz sicher, dass sie die Richtige sein muss. Ohne zu zögern, macht sich Scott an sie heran und scheint tatsächlich bei Ramona landen zu können. Noch im Glückstaumel, stürmen mehrere große Probleme auf Scott ein. Er muss mit Knives Schluss machen, auch, wenn es ihm sehr schwer fällt und er es immer wieder hinaus zögert, bis es fast zu spät ist. Außerdem muss er sich der Liga der teuflischen Ex-Lover stellen, um Ramona endgültig für sich gewinnen zu können.

Hinter dieser normalen, ja geradezu banalen Liebesgeschichte verbirgt sich der verrückteste und ausgeflippteste Film der letzten Jahre. „Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt“ fängt ganz harmlos an und bedient zunächst den dezenten und charmanten Humor, den man vielleicht aus „Scrubs“ oder „Garden State“ kennt. Sofort fällt auch die nerdige Note auf. Witze und Slapstick für die man eine gehörige Portion Understatement benötigt und bei denen man nicht weiß, ob man das wirklich den ganzen Film durchhält und witzig finden will. Doch „Scott Pilgrim“ ist in jeder Hinsicht unkonventionell und so steigert sich der Film in enormen Tempo bis hin zu völlig überzogenen Actioneinlagen und spektakulären Kämpfen, wie man sie bisher höchstens in zünftigen Prügelspielen an der Spielkonsole gesehen hat. Der Film wedelt hierbei regelmäßig mit offensichtlichen metaphorischen Dampframmen, damit auch keine Missverständnisse aufkommen könnten, worum es überhaupt geht. Hier treffen zwei extreme Gegensätze aufeinander. Kleine, charmante Teeniekomödie vs. Brachiale Actionklopperei. Regisseur Edgar Wright tobt sich richtig aus und persifliert gewissenhaft und ausführlich den ganzen Subkulturzweig der Nerdness mit allem was dazu gehört, nicht ohne sich gleichzeitig tief zu verbeugen und ihr ein zeitloses Denkmal zu setzen. Beeindruckend ist, dass der Film trotz des spektakulären Rahmens niemals den roten Faden der eigentlichen Story verliert, so albern sie auch sein mag. Wright ist Experte auf diesem Gebiet, zog er doch 2004 mit „Shaun Of The Dead“ erst die Zombies und 2007 mit „Hot Fuzz“ schließlich die Superpolizisten der britischen Provinz durch den Kakao. Bei diesen Filmen wird aber nicht einfach irgendein Film billig nachgemacht, sondern stets ein ganzes Genre mit intelligentem Humor auf die Schippe genommen. Zu welchem Genre „Scott Pilgrim“ zu zählen ist, fällt enorm schwer. Nennen wir es einfach ein grandioses Stück „Nerdness“

„Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt“ ist hierzulande ganz klammheimlich am großen Publikum vorbei gegangen, was ja eigentlich auch der Sinn der ganzen Sache sein müsste. Leider hat Hollywood kein Verständnis für solche Querulantenfilme, ebenso, wie die Gesellschaft kein Verständnis für Nerdtum aufbringen kann. Betrachtet man „Scott Pilgrim“ von der rein filmischen Seite, findet man ein unglaublich sorgfältig und detailverliebtes Kleinod und man darf um Himmels Willen nicht noch mehr Zeit verstreichen lassen, sich ihn endlich anzusehen.

Scott Pilgrim vs. The World (USA, Kanada, 2010): R.: Edgar Wright; D.: Michael Cera, Mary Elizabeth Winstead, Ellen Wong, u.a.; M.: Nigel Godrich

Mal wieder gesehen - Catch Me If you Can

Nur wer hart und ehrlich arbeitet, wird es im Leben zu etwas bringen. Das ist zumindest die Botschaft, die den Kindern seit je her von Lehrern, Chefs, Eltern und allen, die auch nur im Ansatz als Respektsperson durchgehen könnte, in den Kopfe gehämmert wird. Und wie reagieren die lieben Kleinen? Entweder sie sagen „Leckt mich“, färben sich die Haare, zerreißen ihre Klamotten, verprügeln Polizisten und hören Musik, die ihren Eltern unter keinen Umständen gefallen darf. Ist das normal? Andere gehen gemäßigtere Wege mit verheerenden Folgen. Sie überlegen sich raffinierte Pläne, um durch Betrug und Täuschung das ganze System auszuhebeln und zusätzlich Unmengen von Geld zu ergaunern.

Frank Abagnale Junior ist berühmt. Er ist einer der erfolgreichsten Trickbetrüger der letzten Jahrzehnte und beschaffte sich durch Scheckbetrug mehr als 6 Millionen Dollar. Außerdem war er als Pilot, Arzt, Anwalt und Lehrer tätig, ohne überhaupt die Highschool abgeschlossen zu haben. Er war in den 70er Jahren der „Most Wanted Man“ und wurde von zahlreichen Behörden – allen voran das FBI – erbittert gejagt, bis er 1975 letztendlich in Frankreich gestellt wurde. Der Film erzählt die Geschichte der Familie Abagnale so, dass Franks Vater von chronischer Pleite verfolgt, von Banken und Geschäftspartnern um viel Geld und seine Existenz betrogen wurde. Wegen der Geldnöte verließ Franks Mutter ihren Mann und ihren Sohn. So macht er also die Banken für das Leid und den Zerfall seiner Familie verantwortlich. Mit einer unfassbaren Leichtigkeit und Dreistigkeit mogelt er sich durch die haarsträubendsten Lügen und kommt auch noch damit durch. Er gibt sich als Pilot aus und nimmt Freiflüge in Anspruch. Er bewirbt sich als Chefarzt an einer Klinik, um anschließend die Anwaltsprüfung abzulegen und sich als Heiratsschwindler betätigt. Stets sitzt ihm der ehrgeizige FBI-Agent Carl im Nacken, der in Frank nicht nur den raffiniertesten Betrüger seiner Karriere sieht, sondern auch einen ebenbürdigen Gegner.

Es scheint das neue Dreamteam in Hollywood zu sein. Steven Spielberg, Tom Hanks und Leonardo DiCaprio harmonieren in diesem Film dermaßen perfekt, als hätten sie in ihrer Karriere nie mit jemand anderem gearbeitet. Obwohl diese Kombination so gut funktionierte und der Film weltweit mehr als 350 Millionen Dollar einspielte, ging er bei den wichtigsten Filmpreisverleihungen leer aus. Die Gesetzmäßigkeiten in Hollywood versteht sowieso kein Mensch und wenn man auf die Oscars und Golden Globes pfeift, bekommt man eine Geschichtsstunde mit biographischen Zügen und dem unbestechlichen Hollywood-Unterhaltungswert. Der Film basiert auf der Autobiographie des echten Frank Junior und fängt den Charme der swinging sixtys – und seventys – authentisch ein. Auffallend und spannend zugleich ist, dass das Wesen von Helden und Vorbildern in dieser Zeit sehr prägend gewesen ist. Piloten und Ärzte waren prinzipiell Respektpersonen und ihre Integrität stand nie außer Frage. Vor allem das öffentliche Leben richtete sich voll und ganz nach dem Prinzip „Kleider machen Leute“. Mit enormen handwerklichem Geschick verarbeitet der Film dieses uralte Erzählmotiv, welches wir nicht zuletzt seit den Abenteuern des Tapferen Schneiderleins nur zu gut kennen. Erstaunt stellte man damals fest, dass der Herzensbrecher und Schönling aus „Romeo & Julia“ und „Titanic“, Leonardo DiCaprio, tatsächlich ein ernst zu nehmender und durchaus fähiger Schauspieler zu sein schien. Er liefert in diesem Film eine enorme Leistung ab, denn wie Frank, schlüpft er in die unterschiedlichsten Rollen, die er gut darstellen muss, um als raffinierter Trickbetrüger überzeugen zu können.

„Catch Me If You Can“ ist ein überaus gelungener und schöner Film, der auch nach beinahe einem Jahrzehnt nichts von seiner Faszination und seiner Aktualität verloren hat. Frank Abagnale Junior ist zwar ein Krimineller, der einem aber von Anfang an sympathisch vorkommt, denn schließlich hat er es ja nur auf das Geld der Mächtigen und Reichen abgesehen, womit wir, ganz nebenbei, ein weiteres uraltes Erzählmotiv entdeckt hätten. Nach seiner Festnahme wurde Frank übrigens vom FBI engagiert, um dort im Betrugsdezernat zu arbeiten. Er entwickelte unter anderem den ersten fälschungssicheren Scheck der Welt.

Catch Me If You Can (USA, 2002): R.: Steven Spielberg; D.: Leonardo Di Caprio, Tom Hanks, Christopher Walken, u.a.; M.: John Williams.

Montag, 28. März 2011

Jack In Love

Wenn sich Hollywood-Schauspieler einmal etabliert haben, versuchen die meisten, ihrem Kurs treu zu bleiben und machen keine Experimente. Ist man durch einen Actionfilm berühmt geworden, bleibt man dabei und dreht eben nur noch Actionfilme. Man wird zum Actionstar und keinen interessiert es, ob man vielleicht auch Dramen oder Komödien spielen möchte. Philip Seymour Hoffman ist Schauspieler, hat in so vielen Filmen eher kleinere Rollen gespielt, dass Sie ihn garantiert schon gesehen haben, ohne ihn zu erkennen und ist dabei dermaßen wandlungsfähig – nicht nur äußerlich. Nun wagt er einen Schritt, den wenige Schauspieler zuvor erfolgreich absolvieren konnten: Er führt Regie im kleinen Stil bei „Jack in Love“

Wie der Titel vermuten lässt, geht es um Jack. Der liebt Reggae, trägt rudimentäre Rastas, arbeitet bei einem Limousinen-Service und hat nur seine besten Freunde Clyde und Lucy. Er ist recht zufrieden mit einem Leben, erlebt allerdings nicht viel Spektakuläres. Seine Freunde stört das so sehr, dass sie sich entschließen, ihn auf Vordermann zu bringen. Am einfachsten – denken sie – geht das, indem man Jack mit der bezaubernden, aber unglaublich schüchternen Conny verkuppelt. Das scheint auch ganz gut zu klappen und die beiden vertragen sich wunderbar. Dann gibt es einige kleinere Hindernisse. Conny will mit Jack im Sommer Boot fahren. Jack hat nun nur wenige Monate Zeit, Schwimmen zu lernen. Sein Kumpel Clyde will es ihm beibringen. Dann erzählt Conny, dass noch nie jemand für sie gekochte hätte. Ganz klar, dass Jack das übernehmen möchte. Allerdings kann er nicht kochen. So besorgt ihm Lucy einen Superkoch, der Jack in die Künste des Essenmachens einführt. Jack kniet sich also ordentlich rein, um es seinen beiden besten Freunden recht zu machen und natürlich, um bei Conny erfolgreich landen zu können.

„Jack in Love“ basiert auf einem Bühnenstück von Robert Glaudini und fügt sich damit perfekt in das Profil von Projekten, die Philip Seymour Hoffmans Interesse wecken. Auch „Glaubensfrage“ von 2008 wurde aus einem Theaterstück adaptiert. Theaterstücke sind aber keine Filme und nur die wenigsten Regisseure haben es bis jetzt hingekriegt, diesen Umstand aus zu bügeln, oder sogar zu nutzen. Gerade an „Jack in Love“ merkt man, wie unterschiedlich Theater und Film tatsächlich sein können. Muss man die Leistung der Schauspieler – im Speziellen Philip Seymour Hoffman – loben, zieht man Minuspunkte bei der Dramaturgie ab. Hinzu kommt eine altbackene Inszenierung und uninspirierte Bilder eines grauen, verschneiten New Yorks. Die Dialoge wirken irgendwie plastisch und gekünstelt und bis auf einige rohe Entgleisungen sind insbesondere John Ortiz und Daphne Rubin-Vega nicht in der Lage, überzeugende Gefühlsregungen zu zeigen. Sie spielen eben das Vorzeigepärchen, dass die typischen Beziehungsprobleme hat. Auch, wenn sie sich in Jacks Leben einmischen und alles tausendmal besser wissen als er, sind sie offensichtlich nicht in der Lage, ganz klare Probleme ihrer eigenen Beziehung zu lösen. Es lohnt sich allerdings nicht, sich zu sehr darüber aufzuregen, denn im Grunde ist „Jack in Love“ nichts besonderes. Es ist schön, zu sehen, dass Philip Seymour Hoffman immer noch ein guter Schauspieler ist, der wahrscheinlich wirklich jede Rolle perfekt spielen kann, solange er sich irgendwie damit identifizieren kann. Als Regisseur hat eine eher durchschnittliche Leistung absolviert, die in seinem nächsten Projekt auf jeden Fall ausbaufähig ist.

„Jack In Love“ ist aber nicht vollkommen abzulehnen, und die Sympathie, die man seinem Regisseur entgegen bringt, lässt über die gravierenden Mängel etwas hinweg sehen. Es ist ein Erstling mit allen Ecken und Kanten und weil es eben um die liebe Liebe geht, lassen wir das nochmal durchgehen.

Jack Goes Boating (USA, 2010): R.: Philip Seymour hoffman; D.: Philip Seymour Hoffman, John Ortiz, Daphne Rubin-Vega, u.a.; Offizielle Homepage

In Weimar: lichthaus

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Donnerstag, 17. März 2011

Rango

Habe ich nicht neulich noch vom sterbenden Genre des Western gesprochen? Hollywood reagiert mal wieder super schnell und beweist, dass Western noch lange nicht tot sind und sich sogar eignen, einen knuddeligen CGI-Film im Land der untergehenden Sonne an zu siedeln.

Unser Held ist eine Kreuzung aus Chamäleon und Gecko und lebt zufrieden in seinem Terrarium zusammen mit kopfloser Barbie, Plastepalme und Aufziehfisch. Mit dieser Truppe hat er schon zahlreiche erfolgreiche Theater- und Musicalinszenierungen realisiert und die Proben für den neuesten Streich sind in vollem Gange. Da geschieht das Unglück und die Echse fällt in ihrem Glaskasten aus dem fahrenden Auto auf die Straße. Nach kurzer Orientierung und der stürmischen Bekanntschaft mit einem Habicht, kommen wir in Dreck an. Ein kleines Städtchen mitten in der Wüste, dessen Einwohner unter chronischem Wassermangel leiden. Das wirkt sich auch auf deren Gemütszustand aus und irgendwie sind die Leute von Dreck alle bekloppt. Unser Held sieht hier allerdings die Chance seines Lebens. Er nennt sich ab sofort Rango, der Furchtlose, der die gefürchteten Jenkins-Brüder mit nur einer Kugel getötet hat und dessen Bruder Klapperschlangen-Jake heißt. Rango ist der Held, der Recke, der Draufgänger, den Dreck braucht. Rango wird sie alle fertig machen und ihnen das Wasser bringen. Doch natürlich haben ein paar böse Jungs ganz andere Pläne.

Gore Verbinski war für mich immer ein typischer Marionettenregisseur. Er war der Regisseur der „Fluch der Karibik“-Filme, hinter denen ein ganz anderer Name meistens viel größer steht. Im Schatten eines Superproduzenten, wie Jerry Bruckheimer, bleibt einem natürlich nicht viel Raum zur kreativen Entfaltung. Klar, dass auch der Ruhm entsprechend verteilt wird und niemand so richtig weiß, wer zum Teufel eigentlich Gore Verbinski ist. Allerdings hat er vor seiner Piratenphase „Das Ritual“ und „Mäusejagd“ gemacht - zwei Filme, die man getrost vergessen kann – und „The Mexican“ und „Ring“ - zwei Filme, die man eigentlich auch vergessen kann, die aber zumindest vom handwerklichen Aspekt sehr interessant und durchaus gelungen sind. Sie zeigen zumindest, dass Verbinski auch ohne Megaproduzenten im Rücken arbeiten kann und funktionierende Filme auf die Beine stellen kann. „Rango“ zitiert nun ganz frech alle möglichen anderen Filme, zelebriert das Westerngenre mit so viel Freude und Enthusiasmus, dass John Wayne die Tränen kommen würden, spielt mit einer lockeren Mischung aus Disneyromantik und Tarantino-Shoot-Out mit den Gefühlen und Emotionen der Zuschauer und wendet obendrein noch ein absolut innovatives Arbeitsverfahren an. Die Schauspieler Johnny Depp und Isla Fisher, die den Hauptfiguren ihre Stimmen leihen, haben im Studio die einzelnen Szenen wirklich gespielt, nur dass eben nicht das Bild, sondern der Ton aufgenommen wurde und die Animationen den entsprechenden Stimmungen nachträglich angepasst wurde. Nur kurz zur Erläuterung: Bei uns stehen die Synchronsprecher vor einem Bildschirm und achten auf die Lippenbewegung der zu synchronisierenden Probanden. Dabei gehen sie Satz für Satz vor und oft interagieren sie Sprecher nicht mal miteinander, wenn sie Dialoge sprechen sollen.

„Rango“ ist durch und durch gelungen. Die Geschichte ist packend und sogar spannend. Die Figuren sind sehr ulkig, wirken aber nicht aufgesetzt. Die ganze Ästhetik ist schmutzig und hat einen sehr realistisch aussehenden Used-Look. Technisch ist alles auf dem neuesten Stand und die animierten Landschaften und Fahrzeuge sehen unglaublich echt aus. „Rango“ beweist, dass man die Kreativität nicht einpacken muss, nur weil man den Film am Computer macht. Die Story muss eben nicht computeranimiert sein.

Rango (USA, 2011): R.: Gore Verbinski; OVA.: Johnny Depp, Isla Fisher, Bill Nighy, u.a.; M.: Hans Zimmer; Offizielle Homepage

In Weimar: CineStar

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2 Jahre Kineast - Lernt er langsam laufen...

Und damit willkommen im glorreichen dritten Jahr. Zwei Jahre sind ja eigentlich keine lange Zeit, aber heutzutage gibt es Blogs, die eine wesentlich kürzere Lebensdauer vorweisen können. Deshalb bin ich schon langsam ein kleines bisschen stolz. Auch, wenn mittlerweile alles ein bisschen routinierter läuft, ist das Ganze immer noch ausbaufähig. Im nächsten Jahr will ich auf jeden Fall voll und ganz die Berlinale mitnehmen, in die ich dieses Jahr kurz reinschnuppern durfte und bei der ich Blut geleckt habe. Drückt mir die Daumen bei der Akkreditierung für 2012.

An dieser Stelle gebührt der Dank den Kinos in Weimar, die es mir ermöglichen, all die Filme zu sehen, dem Team von Paperblog, welches Kineast einer größeren Leserschaft zugänglich macht und selbstverständlich den Lesern selbst - allen voran meinem Bruder Hans (der sich ruhig mal wieder zu nem saftigen Kommentar hingerissen fühlen könnte).

Zur Feier des Tages darf sich nun wild gewünscht werden, welchen Film ich hier besprechen soll. Vorschläge und Wünsche einfach in die Comments setzen.

Vielen Dank, Allerseits und viel Spaß weiterhin im dritten Kineast-Jahr.

-Jan-

Donnerstag, 10. März 2011

Another Year

Wer ist schon glücklich? Das Schicksal hält doch immer etwas bereit, um uns das Leben, den Tag oder zumindest die Stimmung zu versauen. Ist das Glück wirklich etwas abstraktes Anfassbares? Warum ist es so schwer zu erreichen und noch schwerer zu behalten? Wie kann es Menschen geben, die einfach nur glücklich sind? Fragen, denen Regisseur Mike Leigh in seinem neuen Film „Another Year“ nachgeht.

Tom und seine Frau Gerri sind seit vielen Jahren verheiratet und leben glücklich zusammen in einem kleinen Haus am Rande Londons. Ihr Sohn Joe ist erwachsen und schon eine ganze Weile aus dem Haus. Er arbeitet in der Stadt als Anwalt. Tom und Gerri bekommen oft unverhofft Besuch von einer Freundin. Sie heißt Mary und steht nicht gerade auf der Sonnenseite des Lebens. Mit Männern hatte sie kein Glück. Ihre Scheidung hat sie nur mit seelischer Unterstützung ihrer Freundin Gerri überstanden. Doch sie hört die Uhr ticken und ist nahezu krampfhaft auf der Suche nach der großen Liebe. Da sie die nicht findet, wird sie immer verzweifelter, je öfter sie die beiden Freunde besucht. Im Sommer bekommen die beiden Besuch von Ken. Er ist ein alter Freund von Tom und hat viel Pech im Leben gehabt. Er hat seinen Job satt und es belastet ihn sehr, dass um ihn herum alle alten Freunde nach und nach das Zeitliche segnen. Auch er wird immer verzweifelter und sucht Trost bei seinen Freunden. Im Winter stirbt die Frau von Toms Bruder Ronne. Die Familie ist auf dieser Seite stark dezimiert. Also fahren Tom und Gerri zusammen mit ihrem Sohn Joe zum Bruder Ronne, um ihm bei der Beerdigung beizustehen. Da taucht nach vielen Jahren plötzlich Ronnes Sohn auf. Das Verhältnis zwischen Vater und Sohn ist mehr als angespannt und wieder müssen Tom und Gerri Schützenhilfe leisten.

Mike Leigh ist etwas erstaunliches gelungen. Er hat es geschafft, auf absolut überzeugende Weise einen beobachtenden Stil zu etablieren und zusätzlich eine packende und rührende Geschichte zu erzählen. Das Motiv des überglücklichen Paares, welches ununterbrochen vom Unglück und Leid seiner Mitmenschen bombardiert zu werden scheint und sich dennoch nicht beirren lässt und trotz allem stark bleibt, ist dermaßen rührend, dass man es gar nicht zusätzlich ausschmücken muss. Dementsprechend ist „Another Year“ sehr schlicht geraten. In eine grobe Episodenform gepresst, ist alles andere sparsam. Die Kamera bewegt sich nur, wenn es nötig ist. Die Musik spielt nur, wenn niemand redet, der Schnitt wird lediglich in klassischer und ebenso sparsamer Weise eingesetzt. Die Atmosphäre, die die Story und ihre Charaktere prägt, kann sich so ungehindert entfalten. Auch, wenn all dies handwerklich gesehen einmalig und beeindruckend ist, muss man nach einer Weile feststellen, dass diese konsequente Erzählweise auf Dauer doch anstrengend und manchmal fast langweilig wird. Vor allem gegen Ende gibt es einen Dialog zwischen Ronne und Mary, der enorm viel Durchhaltevermögen abverlangt. Auch an anderen Stellen, kommt dieses Gefühl kurzzeitig auf, ist aber meiner Meinung nach eben dem authentischen Stil des Films geschuldet und kann fast vernachlässigt werden. Die Motive der gesamten Story sind sehr schön ausgearbeitet. Zum Beispiel fahren Tom und Gerri regelmäßig in ihren Schrebergarten. Dieser Garten ist stets tabu für Gäste und Besucher aller Art und bietet sozusagen den letzten Zufluchtsort, den die Familie eben benötigt, um ihr inneres Glück behalten zu können.

„Another Year“ ist ein schöner Film. Wir sehen ganz normale Menschen, die eben in dieser speziellen Konstruktion den Inbegriff von Glück und Unglück aufzeigen. Dieses Bild so klar zu bauen, ohne es aufgesetzt, oder abstrakt wirken zu lassen, ist eine enorme Leistung, die ich weder den Darstellen, noch dem Regisseur zugetraut hätte. Absolut sehenswert!

Another Year (GB, 2010): R.: Mike Leigh; D.: Jim Broadbent, Lesley Manville, Ruth Sheen, u.a.; M.: Gary Yashon; Offizielle Homepage

In Weimar: lichthaus

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Montag, 7. März 2011

True Grit

Der Wilde Westen. Die weite Prärie auf einem Pferd durchquerend, mit dem Revolver im Anschlag nur ein Ziel vor Augen haben: Die Banditen zur Strecke bringen! Haben wir nicht alle irgendwann Cowboy und Indianer gespielt? Haben wir uns nicht alle ans imaginäre Lagerfeuer gesetzt, unsere imaginären Bohnen gegessen und den imaginären Sonnenuntergang beobachtet? Ein Kindheitstraum, den jetzt die Coen Brüder mit ihrem neuen Film „True Grit“ für sich wahr gemacht haben.

Die 14-jährige Mattie ist in der Stadt. Sie kümmert sich um die Angelegenheiten ihres verstorbenen Vaters. Der wurde ganz feige erschossen vom Schurken Tom Chaney. Sie will Vergeltung und sucht deshalb einen Mann mit echtem Schneid. Der einzige, der dafür in Frage käme, wäre der raubeinige Marshall Rooster Cogburn. Mattie will ihn engagieren, den Schurken zu jagen und ihn vor den Richter zu bringen. Der alte Marshall ist wenig begeistert von dieser Idee, denn er ist gemütlich geworden und schluckt lieber Whisky, als Staub. Das Angebot, das Mattie ihm macht, ist allerdings viel zu verlockend und er lässt sich überreden, sie auch noch mit zu nehmen. Tom Chaney hat allerdings früher schon von sich hören lassen. Im fernen Texas hat er sogar einen Senator erschossen. Deshalb ist der Texasranger LaBoef ebenfalls hinter ihm her. Die drei ungleichen Gesellen raufen sich also zusammen und machen sich zu dritt auf die Jagd nach dem Mörder. Der macht es ihnen natürlich nicht leicht.

Die Coens haben sich gut gemacht. Betrachtet man ihre bisherigen Filme, so waren die sehr speziell und einem kleinen Publikum vorbehalten. Es gab viele Menschen, die mit dem Stil der Brüder nicht viel anfangen konnten. Das lag an den schillernden Figuren, die oft neben dem Leben standen und verrückter Geschichten erlebt haben. Vielen sagte diese schrille Mischung also nicht zu, so dass Wenige die Genialität und das Können der Brüder bemerkten. So hüpften die Coens klammheimlich von einem Genre zum nächsten und produzierten so Komödie, Film Noir, Krimi, Action und nun einen Western. Mit „No Country For Old Men“ gelang ihnen 2007 der ganz große Wurf. Dieser Film war spannend, hart, berührte, schockierte, ließ lachen und weinen, und das auf so unglaublich intensive Weise, dass man vollkommen überwältigt war.
Ganz klar, dass die Erwartungen an „True Grit“, der im Vorfeld immer wieder mit dem 2007er Film verglichen wurde, entsprechend hoch sind. Gleich zu Beginn: „True Grit“ ist völlig anders, als ich es mir vorgestellt habe. Ich habe mit genau dem gleichen intensiven Gefühl gerechnet, welches mich bei „No Country For Old Men“ überkam. Aber „True Grit“ ist nicht hart oder böse, der Film ist überraschend locker geraten und trotzdem schwingt die ganze Zeit der schwere Hauch eines ausgewachsenen Abenteuers mit. Die Figuren entsprechen den zu erwartenden Western-Stereotypen, wirken aber nicht oberflächlich. Die ganze Machart erinnert sehr an alte John Wayne Filme. Das ist nicht verwunderlich, wurde „True Grit“ bereits 1969 mit John Wayne verfilmt und galt damals schon als so unkonventioneller Western, wie man es nie gesehen hat. Es gibt tragische Momente, spannende Momente und auch komische Momente und alles plätschert in einem enorm lockeren Stil über die Leinwand. Die Geschichte fegt ratz-fatz an einem vorbei, ohne, dass man sich anstrengen muss, ihr zu folgen.

Ich bin ein bisschen hin und her gerissen. Einerseits ist „True Grit“ nicht so geworden, wie ich es erwartet, ja regelrecht erhofft habe. Als bekennender Fan des sogenannten Neowestern ala „Erbarmungslos“ oder „Todeszug nach Yuma“ war ich hier natürlich zunächst schwer enttäuscht. Aber „True Grit“ ist dennoch ein guter Film. Er ist spannend, erzählt die Geschichte toller Charaktere und fängt nahezu perfekt die Atmosphäre und das Gefühl klassischer Westernfilme ein. Eine tiefe Verbeugung also vor einem sterbenden Genre.

True Grit (USA, 2010): R.: Joel & Ethan Coen; D.: Jeff Bridges, Matt Damon, Josh Brolin, u.a.; M.: Carter Burwell; Offizielle Homepage

In Weimar: CineStar, lichthaus (demnächst als OmU)

Rezensionen On Air: Jeden Donnerstag, 12:25 Uhr auf Radio Lotte Weimar.