Donnerstag, 25. Februar 2010

Invictus - Unbezwungen

Wenn man sich in Hollywood auf eine Sache verlassen kann, dann, dass berühmte und bedeutende Persönlichkeiten immer einen Platz im Kino finden werden, solange damit Geld verdient werden kann, ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Jetzt gibt es einen Film über einen Mann, der wiederum von einem Regisseur inszeniert wurde, der sich durchaus selbst ein filmisches Denkmal verdient hätte. John Carlin schrieb einen Roman über Nelson Mandela, der jetzt von Clint Eastwood verfilmt wurde.

Südafrika, 1990. Eine Wagenkolonne fährt durch die Straßen und zieht neugierige Blicke auf sich. In einem der Autos sitzt Doktor Nelson Mandela, der gerade nach beinahe 30-jähriger Haft aus dem Gefängnis entlassen wurde und nun der Hoffnungsträger der gesamten schwarzen Bevölkerung Südafrikas geworden ist. Bei der weißen Bevölkerung verursacht er im gleichen Maße Angst und Misstrauen, als er bekannt gibt, in die Politik zurück zu kehren will und mit Hilfe des ANC als Präsident kandidieren wird. 1994 wird er gewählt und tritt sein Amt an. Natürlich begegnen ihm zahlreiche seiner weißen Mitarbeiter mit Misstrauen und teilweise offenem Hass. Doch Mandela weiß, dass der einzige Weg zum Frieden, der der Vergebung ist. Niemand wird entlassen, und sogar das Team seiner Leibwächter wird mit ehemaligen weißen Polizisten aufgefüllt. Auch wenn Mandela das Bild der Toleranz offen vor sich trägt, reicht es nicht aus und die Stimmung in der Bevölkerung kocht langsam hoch. Als Mandela ein Rugbyspiel der Südafrikanischen Nationalmannschaft sieht, stellt er fest, dass alle weißen Fans ihre Mannschaft anfeuern, während alle schwarzen Fans, die gegnerische Mannschaft feiern. Mandela sieht hier die Möglichkeit, das Volk durch die Begeisterung für diesen Sport zu vereinen und so für innere Ruhe zu sorgen, damit er die wichtigen außenpolitischen Aufgaben bewältigen kann. Abgesehen davon will er um jeden Preis den Weltmeisterpokal holen.

Vor beinahe einem Jahr lief der letzte Film von Clint Eastwood. „Gran Torino“ begeisterte damals mit einer tollen Story, unglaublich intensiv konstruierten Figuren und einem der besten filmischen Abgänge aller Zeiten. Eastwoods letzter Auftritt vor der Kamera ließ die Erwartungen für seine nächsten Filme natürlich enorm in die Höhe schnellen, da auch die vorhergehenden Filme allesamt sehr gut waren und immer besser wurden. Mit anderen Worten: „Invictus“ hatte gefälligst genau so gut zu sein. Und er ist eigentlich auch gut. Es gibt nichts ernsthaftes zu bemängeln. Die beiden Schauspieler Morgan Freeman und Matt Damon liefern solide Darstellungen der authentischen Figuren ab. Freeman trifft Mandela sehr präzise und einige Szenen, die man von Nachrichtenbildern kennt, sind so gut nachgestellt, dass man den Unterschied kaum zu erkennen vermag. Matt Damon hat für seine Rolle als Kapitän der Rugbymannschaft mehrere Kilo zugenommen und sich eine bullige Muskelgestallt antrainiert. Der Film ist angenehm nüchtern inszeniert und viele Einstellungen haben einen fast dokumentarischen Stil. Trotz einiger pathetischer Ansprachen und Dialoge, ist alles recht schlicht und wirkt nicht zu überzogen. Spektakulär sind natürlich die Rugbyszenen, in denen schweißnasse Riesen mit aller Gewalt auf einander prallen. Auch der Konflikt zwischen Schwarz und Weiß und die ganze unsichere Situation, die letztlich zu einem Bürgerkrieg hätte führen können, ist passend eingefangen. Trotzdem geht man mit dem Gefühl aus dem Kino, man wäre irgendwie ein bisschen enttäuscht und hätte mehr erwartet.. Das schöne an Clint Eastwoods Filmen war die intensive und manchmal auch kompromisslose Ausarbeitung der handelnden Figuren. Sie taten immer bis zur letzten Konsequenz genau das, was von ihnen erwartet wurde. Nie taten sie etwas unlogisches oder unpassendes, nur weil das vielleicht für ein Happy-End im Film gesorgt hätte. Dadurch wirkte alles so echt und man war ganz nah dran. Diese Eigenschaft fehlt den Figuren in „Invictus“. Vielleicht liegt es daran, dass die Hauptfiguren noch leben und Eastwood aus einer zu großen Ehrfurcht heraus weniger intensiv an deren Darstellung gearbeitet hat. Welche Motive auch immer dabei eine Rolle gespielt haben mochten, es ist kein typischer Eastwood-Film geworden, sondern eher ein Film, wie ihn jeder andere auch hätte machen können. Und natürlich hat uns Clint Eastwood mit seinen großartigen Filmen verwöhnt gegenüber denen „Invictus“ einfach nicht mithalten kann.

„Invictus“ erzählt auf schlichte und nüchterne Weise die Geschichte einer Rugbymannschaft, deren größter Fan Nelson Mandela war. Es ist nicht Eastwoods bester Film, bietet aber ausreichend Futter, um die Zeit bis zum nächsten zu überstehen.

Invictus (USA 2009): R.: Clint Eastwood; D.: Morgan Freeman, Matt Damon, Julian Lewis Jones, u.a.; M.: Kyle Eastwood; Offizielle Homepage

In Weimar: lichthaus

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Freitag, 19. Februar 2010

In meinem Himmel

Ein neuer Film von Peter Jackson. Juhu! Über den kleinen, pummelgien Teilzeithobbit, der eine Vorliebe für schwer verfilmbare Stoffe hat, der jedes mal, wenn ihm ein Scheitern prophezeit wird, um so mehr Erfolg hat, brauche ich im Grunde kein Wort zu verlieren. Immer, wenn er ein Projekt abgeschlossen hat, dass jeden anderen Regisseur in den Suizid getrieben hätte, nimmt er sich vor, als nächstes einen ganz einfachen Film zu machen und zieht sich das nächste unverfilmbare Buch an Land. Nach "Der Herr der Ringe", "King Kong" und "District 9" hat er jetzt Alice Sebolds Roman "In meinem Himmel" opulent adaptiert.

Susie ist 14 Jahre alt, frisch verliebt in den romantischen Schönling Ray, interessiert sich für Fotographie und hat ein großes Problem. Sie ist tot. Von einem Kindermöder in die Falle gelockt und brutal ermordet, ist sie nun in der Zwischenwelt zwischen Erde und Himmel und kann nur noch ohnmächtig die Lebenden beobachten. Dabei sieht sie zum Beispiel ihren Vater, der einfach nicht aufgeben kann, zu forschen und zu recherchieren, um den Mörder seiner Tochter zu finden. Sie sieht ihre kleine Schwester, die nicht nur genau das Leben führt, welches Susie auch sehr gern geführt hätte, sondern auch Gefahr läuft, das nächste Opfer des Mörders zu werden. Susie kann nichts am Verlauf der Dinge in der Welt der Lebenden ändern, kann aber dennoch nicht los lassen. Solange sie ihr Leben nicht hinter sich lassen kann, bleiben ihr die Pforten des Himmels versperrt. Sie bleibt in der Zwischenwelt und versucht nach Kräften, ihrer Familie Signale und Zeichen zu senden. Auch die Polizei ist mit Nachforschungen beschäftigt, tappt aber weitgehend im Dunkeln. Das bringt den Mörder dazu, sich zu sicher zu fühlen, so dass er bald wieder beginnt, einen neuen Plan zu schmieden.

"In meinem Himmel" ist ein hierzulande relativ unbekanntes Buch, was dazu führt, dass man den Rahmen der Geschichte etwas befremdlich findet. Es ist nämlich eine relativ normale Krimigeschichte, in der jemand versucht, einen Mörder zu überführen. Die Szenen in der fiktiven Zwischenwelt wirken dagegen eher deplaziert. Der Eindruck wird durch die visuelle Darstellung noch verstärkt. Peter Jackson inszeniert sehr penibel die 70er Jahre neu. Hier stimmt alles, von den Autos, über die Klamotten bis hin zu originalgetreuen Werbeplakaten und Milchtüten. Dieses ultrarealistische Bild läuft regelrecht Amok gegen die völlig überzogenen und kreischend bunte Fantasiewelt, in der sich Susie bewegt. Während die Lebenden ihr Dasein im amerikanischen Pennsylvania fristen, wurden viele Szenen im "Himmelsreich" in Neuseeland gedreht. Ein herbstlicher Laubwald etwa, oder ein majestetisches Gebirge, dessen Gipfel mit mächtigen Gletschern bedeckt sind. Diese Plätze erkennt man natürlich sofort und fragt sich, ob der Himmel nun in Neuseeland oder in Mittelerde liegt. Merkwürdig scheint auch, dass Susie in der Zwischenwelt stetigen Stimmungsschwankungen unterworfen ist. Tobt sie eben noch in wilden Kostümen über einen imaginären Laufsteg und spielt Supermodel und freut sich darüber, wirklich alles tun und lassen zu können, was sie will, steht sie im nächsten Moment mit feuchten Augen im blassen Mondlicht und starrt wehmütig in das lebendige Diesseits. Das und die ganze Ästhetik sorgt dafür, dass man den Sinn dieser zweiten Erzählebene hinterfragt, denn eigentlich braucht die Geschichte sie nicht. Der Film ist spannend, aber nur an den Stellen, die in jedem anderen Krimi auch spannend sind. Etwa, wenn das kleine Mädchen im Haus des Mörders nach Hinweisen sucht, während er gemächlich und nichts ahnend die Einfahrt hochrollt.
Hier kommt übrigens Peter Jacksons handwerkliches Geschick einmal mehr zum tragen. Immer wieder holt er unscheinbare und unauffällige Gegenstände ganz nah an die Kamera heran, und es ergeben sich spektakuläre Perspektiven und Bilder.

"In meinem Himmel" ist der Versuch Peter Jacksons, einen "normalen" Film zu machen. In wie weit ihm das gelingt, muss wohl jeder für sich selbst entscheiden. Ich für meinen Teil muss leider sagen: Ein Film mit schönen Bildern, die aber überflüssig sind, um die Geschichte zu erzählen.

The Lovley Bones (USA/NZL 2009): R.: Peter Jackson; D.: Saoirse Ronan, Rache Weisz, Mark Wahlberg, u.a.; M.: Brian Eno; Offizielle Homepage

In Weimar: CineStar

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Donnerstag, 11. Februar 2010

Mal wieder gesehen: Knockin' On Heaven's Door

Es gibt also eine neue Rubrik, in der – wie der Titel vermuten lässt – Filme besprochen werden, die ich mir mal wieder angesehen habe. Filme, die sozusagen ausgegraben wurden und die einer Erwähnung und Besprechung außerhalb des aktuellen Kinoprogramms allemal würdig sein sollten. Auf die Idee hat mich übrigens Hans gebracht, der mit seiner messerscharfen und stetigen Kritik und seinen Hinweisen einen kleinen, aber prägenden Teil auf diesem Blog beigetragen hat.-

Als ich „Giulias Verschwinden“ gesehen habe, ist mir wieder mal aufgefallen, dass Corinna Harfouch eine sehr gute und vor allem prägende Schauspielerin ist. Vor allem aber ist sie in letzter Zeit ständig im Kino zu sehen. Im letzten Jahr allein in „Berlin Calling“ und „Whiskey mit Wodka“ und auch in „This is Love“ und „Im Winter ein Jahr“. Nebenbei absolviert sie noch zahlreiche Fernsehrollen und tourt mehr oder weniger ununterbrochen von einer Buchlesung zur anderen. Interessanterweise ist sie mir das erste Mal in einer sehr kleinen und relativ unauffälligen Rolle aufgefallen, die mir aber dank eines dezent genervten „Na kommse, kommse!“ stets wieder ins Gedächtnis gerufen wird, wenn ich Corinna Harfouch irgendwo sehe.
„Knockin' On Heaven's Door“ war ein Film, um den ich eine lange Zeit einen Bogen gemacht habe. Im Kino hatte ich ihn gar nicht gesehen und irgendwie fehlte mir auch das Interesse am deutschen Film. Es mag damit zu tun gehabt haben, dass solche Perlen, wie „Manta Manta“ und „Der bewegte Mann“ dafür gesorgt hatten, dass ich Til Schweiger nicht mochte und wenn ich es genau betrachte, hat sich daran eigentlich bis heute nicht viel geändert. In diesem Film ist Til Schweiger jedenfalls saucool, was allerdings auf so ziemlich jeden, der hier auftretenden Darsteller zutrifft.

Ein paar Sätze zur Story: Martin und Rudi lernen sich in einer Klinik kennen. Beide haben soeben die Nachricht erhalten, dass sie einen baldigen Tod durch Krebs erleiden würden. Trotz anfänglicher Differenzen werden die beiden schnell Freunde und bei einer nächtlichen Tequila-Runde in der Krankenhausküche stellen sie fest, dass Rudi noch nie in seinem Leben am Meer war. Die beiden stellen fest, dass das auf gar keinen Fall geht, denn im Himmel gäbe es schließlich kein anderes Gesprächsthema, als das Meer. Kurzerhand und stockbesoffen klauen sie ein Auto aus der Tiefgarage und fahren los. Das Auto gehört allerdings den beiden Gangsterlakaien Abdul und Hank, die von ihrem Gangsterboss Franky den Auftrag erhalten hatten, das Auto zum Obergangsterboss Curtiz zu bringen. Franky versteht keinen Spaß und verlangt mit allen Mitteln das Auto – ein babyblauer SL300 – zurück zu holen. Martin und Rudi kümmert das relativ wenig, denn sie haben nichts zu verlieren, außer den Blick auf das Meer.

Regisseur Thomas Jahn und Schauspieler Jan Josef Liefers hatten es im Grunde schon aufgegeben, ihren Gangsterfilm verkaufen zu wollen. Niemand traute dem Stoff einen ernsten Erfolg zu. Viel zu unpassend für den deutschen Film. Viel zu nah an „Pulp Fiction“ und keiner wollte so dumm sein, den coolsten Gangsterfilm aller Zeiten zu kopieren. Nach und nach sammelten sich aber immer mehr prominente Namen hinter dem Projekt, so dass Buena Vista schließlich zustimmte, den Film zu veröffentlichen. Ein Studio musste auch nicht mehr gefunden werden. Die von Til Schweiger gegründeten Troubelmaker Studios waren wie geschaffen für ein unkonventionelles Filmprojekt dieser Art. Alles war startklar, allerdings fehlte immer noch der passende Darsteller für den Gangster Abdul. In einer beispiellosen Castingaktion ließ man zahlreiche türkische Darsteller antreten, die aber den Ansprüchen des Regisseurs alle nicht gerecht wurden. Dann tauchte der noch relativ unbekannte deutsche Schauspieler Moritz Bleibtreu auf, der mit seinem Auftritt einen überzeugenderen Abdul, als all seine Kollegen vor ihm, ablieferte. Zwischendurch konnte noch die Band Selig gewonnen werden, die den Sundtrack produzieren sollte. Und das ist daraus geworden: Eine Gangsterkomödie, die trotz ihrer überzeichneten und klischeehaften Figuren nie zu überzogen wirkt. Es tauchen einfach alle auf, die man braucht. Vom fiesen, cholerischen Gangsterboss über die holländische Puffmutter, bei der man kein Wort versteht, bis hin zum griesgrämigen und zu Tode gelangweilten Polizeikommissar. Die beiden Hauptcharaktere schliddern von einer absurden Situation in die nächste und begegnen dabei dem Polizistenkumpel von Tankwart Klaus, einem umtriebigen Gebrauchtwagenhändler, den Rodrigez Brüdern und dem Dönermann im Ruya-Imbiss. Der Film hat eine sehr fesselnde Dynamik und durch die sehr gut ausgearbeiteten Charaktere und Dialoge wird er unvergesslich.

„Knockin' On Heaven's Door“ ist ein ganz großer Vertreter des deutschen Films, der sich zwar frech bei zahlreichen amerikanischen Genreperlen bedient, daraus aber seinen ganz eigenen Stil und einen einzigartigen Charme schafft. Wer ihn noch nicht gesehen hat, sollte das schleunigst nachholen.

Knockin' On Heaven's Door (D 1997): R.: Thomas Jahn; D.: Til Schweiger, Jan Josef Liefers, Moritz Bleibtreu, Hannes Jaenicke, Corinna Harfouch, Rudger Hauer, Bernd Eichinger, u.a.

Trailer, IMDb, Filmstarts

Giulias Verschwinden

Jeder macht sich immer irgendwie Gedanken um das Alter. Entweder man ist jung und fühlt sich älter, eckt aber ständig an, weil man eben noch zu jung ist – beim Kaufen von Bier zum Beispiel – oder man ist alt und fühlt sich aber noch älter und eckt überall an, weil man das Gefühl hat, alle anderen wären jünger, was sie aber nicht sind. Das alles wird dadurch kompliziert, dass niemand offen über das Alter und das älter werden redet, weil er nie weiß, wem er damit auf die Füße tritt. Auf was hab ich mich da eingelassen, als ich mir den neuen Film mit Corinna Harfouch, „Giulias Verschwinden“ angesehen habe?

Also. Ganz von Vorne. Es geht um Giulia. Sie hat Geburtstag. Ihren Fünfzigsten. Und damit gehen ihre Probleme oder Komplexe los. Eigentlich fühlt sie sich gar nicht alt, aber eine offensichtlich alte Frau hält ihr im Bus buchstäblich einen Spiegel vor die Augen. „Uns Alte sieht man eben nicht. Wir sind unsichtbar“ Erschrocken stellt Giulia zwei Dinge fest. Beim Blick in die verspiegelte Scheibe vom Bus sieht sie sich selbst nicht mehr. Außerdem merkt sie, dass sie gerade überhaupt keine Lust mehr hat, da hin zu gehen, wo hin sie unterwegs war. Zu ihrer Geburtstagsfeier nämlich. Die soll in einem Restaurant statt finden, in der fünf ihrer Freunde sehnsüchtig auf sie warten. Und die haben natürlich kein besseres Thema als das Alter. Wie schrecklich alles wäre. Der körperliche Zerfall, die Dinge, die man früher noch bedenkenlos essen konnte, die Fußkrämpfe beim Sex. Giulia tut also das einzige, was sie ihrer Meinung nach noch tun kann. Sie verschwindet...

Dass das Thema nicht so ganz einfach werden würde, merkte ich schon während des Films. Um mich herum gab es ununterbrochenes amüsiertes Gekicher und Schenkelgeklopfe und ich fand irgendwie alles oberflächlich und lahm. Die Figuren im Film reden über das Alter und tauschen im Grunde nur Klischees und Plattitüden aus. Was eben jedem zum Thema älter werden als erstes einfällt. Die Oberflächlichkeit geht so weit, dass man über die Figuren gar nichts erfährt. Auch die schauspielerische Leistung ist flach geraten. Die Texte und Dialoge klingen wie abgelesen und haben so viel Intensität wie in einem Werbespot für Faltencreme. Der episodenhafte Stil der Dramaturgie ist zwar ein netter Ansatz, wird aber auch nicht weiter vertieft und trägt am Ende sogar eher zur Verwirrung bei, weil alle Figuren, die zu Beginn nichts miteinander zu tun hatten, plötzlich doch zusammen kommen. Technisch hat mich der Film noch mehr geärgert. Ich weiß ja, dass alle auf die unheimlich praktische Digitalkameratechnik schwören, aber sehen die heutigen Filmemacher denn nicht, dass es einfach schlecht aussieht? Während ich mich hier in aller Ruhe auslasse und mich immer mehr herein steigere, wie saublöd ich diesen Film fand, merke ich, dass der Film womöglich doch recht hat in seiner Aussage und ich mich nur meinem Alter entsprechend verhalte. Was für ein saublöder Film. Ja, na klar. Aber nur, weil ich zu jung bin, um ihn zu verstehen. Dieser Film könnte das Altersfreigabesystem in Deutschland revolutionieren. „Nicht geeignet für Personen unter 50“ Die einen würden das bestimmt toll finden, die anderen wutentbrannt und beleidigt das Kino verlassen.

„Giulias Verschwinden“ geht ganz schlicht und kompromisslos an das Thema Alter und älter werden heran. Das funktioniert so gut, dass es eigentlich nur eine sehr kleine Zielgruppe geben kann, der dieser Film ausnahmslos gefallen wird. Im Zweifelsfall kann man sich auf Corinna Harfouch freuen. Damit macht man nichts verkehrt. Als ich einer Kollegin übrigens erzählt habe, ich glaubte, der Film würde ihr bestimmt gefallen, fragte sie mich, wie alt Giulia denn sei. „Sie feiert ihren Fünfzigsten“ - „Na vielen lieben Dank auch!“ - Uff!

Giulias Verschwinden (D/CH 2009): R.: Christoph Schaub; D.: Corinna Harfouch, Bruno Ganz, u.a.; M.: Balz Bachmann; Offizielle Homepage

In Weimar: lichthaus

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Montag, 8. Februar 2010

New York, I Love You

Schon mal in New York gewesen? Nein? Ich auch nicht. Ich glaube, ich bin mal so halb drüber geflogen. Ansonsten kenne ich New York nur aus den Nachrichten, aus Comicheften und aus Filmen. In den meisten Filmen, die ich gesehen habe, wurde die Stadt übrigens zerstört. Das spricht entweder gegen die Stadt New York oder gegen meinen Filmgeschmack. Wie dem auch sei. Wer sich immer ein bisschen vor New York gescheut hat, so wie ich, kann jetzt einen neuen, beinahe heimlichen Blick auf die Stadt der Städte werfen, wenn man ins Kino geht und sich „New York, I Love You“ ansieht.

Um die Stadt kennen zu lernen, kann man sich erst einmal ein paar schöne Bilder berühmter, weniger berühmter und gänzlich unbekannter, aber um so schönerer Plätze ansehen. Dann sollte man allerdings einen genaueren Blick auf die Menschen werfen, die natürlich einen Großteil des Charakters einer Stadt prägen. So geht es im Film um den Komponisten, der indisponiert ist, so dass sein Filmproduzent von ihm verlangt, das Gesamtwerk Dostojewskis zu lesen, was ihn in eine noch größere Sinnkrise stürzt. Es geht um eine junge jüdische Frau, die Diamanten für ihre Hochzeit kauft, sich aber nicht sicher ist, ob sie das strenge Leben haben will, das vor ihr steht. Es geht um einen Maler, der schon ewig versucht, diese eine bestimmte Frau, deren Gesicht er nicht vergessen kann, zu porträtieren. Es geht um einen Mann, der verzweifelt versucht, eine Frau kennen zu lernen und dabei höchst ungewöhnliche Wege geht. Wir sehen die Dokumentarfilmerin, die nie das richtige Bild einfangen kann, obwohl sie es direkt vor sich sieht. Wir sehen einen dreisten und raffinierten Dieb, der auf einen noch dreisteren und raffinierteren Dieb trifft. Wir begegnen einem Kerl, der es einfach nicht schafft, ein Taxi zu bekommen, das Ehepaar, das seinen 65. Hochzeitstag am Strand verbringt und wir erahnen die Tragik, die eine ehemalige Pariser Opernsängerin mit dem behinderten Pagen eines Hotels verbindet.

Ich könnte noch hundert weitere Menschen erwähnen, die alle irgendwie in dem Film auftauchen. „New York, I Love You“ ist, wie sein quasi Vorgänger „Paris Je t'aime“ ein Episodenfilm. Viele kleine Geschichten um sehr unterschiedliche Menschen bieten ein kleines und gleichzeitig großes Bild einer Stadt, die viel zu riesig ist, um sie überhaupt in dieser kurzen Zeit besser kennen zu lernen. Dieser Film bietet allerdings nicht das stereotype Bild des sozialen Brennpunktes und des von Kriminalität geschüttelten Molochs, sondern geht auf ganz gewöhnliche Menschen ein, die in New York leben. Bei manchen ist es ein spektakuläres Leben, mit schnellen Schnitten und knalligen Bildern. Andere dagegen fristen ein ganz leises und entspanntes Dasein, das durch lange Einstellungen und sinnlicher Musik eingefangen wird. Es hängt also davon ab, welcher Mensch welches Leben führt, wie das an jedem anderen Ort der Welt auch ist, nur dass es in diesem Film eine einzigartige Atmosphäre gibt, die eben speziell durch die Stadt New York auf so schwer zu deutende Weise geschaffen wird. Elf Regisseure haben bei „New York, I Love You“ mitgewirkt und obwohl sie allesamt unterschiedliche Stile einbringen, ist der Film rund und gut durchdacht zusammen gebaut worden. Auch, wenn man bei manchen Episoden das Gefühl hat, sie seien zu oberflächlich geraten, verstärkt das eigentlich nur den Eindruck, man fahre mit Bus durch die Stadt und beobachte im Vorbeifahren die Geschichten der einzelnen Menschen. Bei Manchen reicht der kurze Augenblick, bei anderen eben nicht.

„New York, I Love You“ ist ein Schnuppertag in New York. Man kann einen kleinen Blick auf eine riesige und nahezu unfassbare Stadt werfen, der aber höchstens dazu reicht, den Zuschauer dazu zu animieren, selbst eine Reise nach New York unternehmen zu wollen.

New York, I Love You (F/USA 2009): R.:Fatih Akim, Yvan Attal, Allen Hughes, Shumji Iwai, Wen Jiang, Joshua Marston, Mira Nair, Brett Ratner, Randall Balsmeyer, Shekhar Kapun, Natalie Portman; D.: Natalie Portman, Shiah LeBeouf, Orlando Bloom, Ethan Hawke, Andy Garcia, u.a.; Offizielle Homepage

In Weimar: lichthaus

Rezensionen On Air: Jeden Donnerstag, 12:25 Uhr live auf Radio Lotte Weimar.